Im Land der Katharerburgen : Leseproben & mehr (German Edition)
Aimeric nicht allzu sehr beansprucht – er ist ja viel auf Reisen -, so werdet Ihr genügend Zeit finden, Eurer Leidenschaft zu frönen. Kommt mit mir, ich will Euch noch etwas zeigen!“ Fabri ließ die Tür zum Innenhof offenstehen, um die kühle Abendluft ins Haus zu lassen, und zog sich ächzend und stöhnend – er schien tatsächlich böse Schmerzen in den Knien zu haben – vor Rixende eine Treppe hoch, die zu einer kunstvoll geschnitzten Galerie führte. Im solier , dem Obergeschoß, angelangt, stieß er eine weitere Tür auf und trat in einen abgedunkelten Raum. „Wartet einen Augenblick“, sagte er. Er tastete sich in das Zimmer hinein, zündete ein wenig umständlich eine Öllampe an, stieß dann mit Schwung die Fenster mit Scheiben aus poliertem Horn auf und die vorgelegten hölzernen Läden. Dann drehte er sich zu Rixende um. „Hier sind meine geheimen Schätze und Leidenschaften, junge Frau!“ sagte er zufrieden, während er eine Truhe öffnete, in der sich eine große Anzahl Bücher und Folianten befand. „Leider kann ich nicht mehr viel damit anfangen“, klagte Castel Fabri. „Mein Augenlicht …“
Rixende hielt den Atem an. „O welch eine Pracht“, rief sie ein wenig heiser und nahm einen Band um den anderen in Augenschein, „welch einen Schatz beherbergt Ihr in Eurem Haus, Herr Fabri! Platon, Vergils ´Aeneis’, die Dichtungen des Francesco Petrarca, die ´Metamorphosen’ des Publius Ovidius Naso … Und hier: sogar Senecas Briefe!“
„Alles was das Herz begehrt, nicht wahr?“ Fabri freute sich wie ein kleines Kind.
Für kurze Zeit war jeder Gedanke an ihren unsichtbaren Bräutigam zurückgestellt. Sie nahm einen Band nach dem anderen in Augenschein, Bücher und Schriftrollen, die Bruder Paule zwar gekannt, aber nie selbst in Händen gehabt hatte. „Wie ich sehe, habt Ihr auch Schriften der Muselmanen in Eurem Besitz. Sprecht Ihr am Ende deren Sprache?”
Fabri nickte stolz. „Als Tuchhändler bin ich weitgereist und zähle nicht wenige Muselmanen zu meinen Freunden. Ihr werdet bald meinen Freund aus Damaskus, Ibrahim Ben Suleyman, kennenlernen. Er kommt meist einmal im Jahr nach Carcassonne.“
Rixende bewunderte gerade ein besonders wertvolles Traktat, das in zwei dunkle Holzdeckel eingebunden war. Zarte, geschwungene, mit zahlreichen Fabelwesen versehene Blattranken schmückten die Seiten. Was sie jedoch auf der letzten Seite entdeckte, ließ sie hell auflachen. Sie las laut vor:
„ Hie hat das puch ein end.
Gott uns sein Gnad send,
darzu Ochsen und Rinder,
und ein schön Fraue on Kinder!“
Fabri lachte ebenfalls. „Ein Stoßseufzer offenbar. Qui scribere nescit heißt es in einer alten Schrift aus dem 8. Jahrhundert, nullum putat esse laborem – wer nicht schreiben kann, denkt, das sei keine Arbeit. Aber Spaß beiseite“, fuhr der Alte fort, „es freut mich über alle Maßen, eine kluge Schwiegertochter zu bekommen, eine, die an Büchern Gefallen zeigt und nicht den ganzen Tag der Wäsche hinterherrennt. Das ist bedeutend mehr, als ich erwartet habe. Auch Aimeric wird zufrieden sein, wenn er es erfährt. Im Vertrauen: Er hat ein wenig Angst vor Euch, Rixende!“
„Die habe ich auch vor ihm. Doch wo steckt er, mein zukünftiger Gatte?“ fragte die junge Frau jetzt offen.
„In unaufschiebbaren Geschäften unterwegs, leider“, seufzte Fabri, und er schien sehr verlegen. „Da Aimeric mein einziger Sohn und Teilhaber ist, musste er vor zwei Wochen nach Marseille reiten, um eine Ladung Seide aus Quanzhou – aus China – zu löschen. Er wird jedoch in Kürze wieder hier sein und Euch dann um so mehr von Herzen willkommen heißen. In der Zwischenzeit könnt Ihr Euch hier eingewöhnen. Ach, übrigens, er hat mir einen Brief für Euch dagelassen, Rixende!“ Fabri nestelte an seinem dunkelblauen Gewand und zog aus einer Innentasche ein gesiegeltes Pergament hervor, das er Rixende übergab.
Vor den Toren Carcassonnes wäre Rixende noch jeglicher Aufschub recht gewesen, doch dann hatte sie der ersten Begegnung mit ihrem Bräutigam geradezu entgegengefiebert. „Ich … ich möchte seine Zeilen gerne vor dem Zubettgehen lesen, wenn Ihr erlaubt, Herr“, sagte sie leise. Tränen standen in ihren Augen. Castel Fabri nahm sie in den Arm und entschuldigte Aimerics Abwesenheit ein weiteres Mal mit vielen Worten. Dann zeigte er ihr – auch um sie abzulenken – ihre persönlichen Gemächer, die nur ein paar Türen weiter im ersten Stock des Hauses lagen und ebenfalls
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