Im Land der letzten Dinge (German Edition)
wissen, ob man nicht einmal einem der falschen Hausbesitzer auf den Leim geht. Das sind Wucherer, die nahezu alle Viertel der Stadt terrorisieren, indem sie Schutzgelder erpressen, bloß damit man in seiner Wohnung bleiben kann. Sie geben sich als Besitzer des betreffenden Hauses aus, prellen die Bewohner und stoßen nur selten auf Widerstand.
Wer jedoch keine Wohnung hat, befindet sich in einer ausweglosen Lage. So etwas wie leerstehende Wohnungen gibt es nicht. Und doch betreiben die Makler eine Art Geschäft. Täglich setzen sie Anzeigen in die Zeitung, in denen sie fingierte Wohnungsangebote machen, um Leute in ihre Büros zu locken und von ihnen Gebühren zu kassieren. Niemand lässt sich von dieser Praxis täuschen, doch viele Leute sind bereit, für diese leeren Versprechungen ihren letzten Pfennig zu opfern. Früh am Morgen scharen sie sich vor den Geschäftsstellen und stehen geduldig Schlange, manchmal stundenlang, bloß um zehn Minuten bei einem Makler zu sitzen und sich Fotografien von Häusern an baumgesäumten Straßen, von behaglichen Zimmern und mit Teppichen und weichen Ledersesseln ausgestatteten Wohnungen anzuschauen – friedliche Bilder, die an Kaffeeduft erinnern, der aus der Küche hereinzieht, an ein dampfendes heißes Bad, an die bunten Farben von schmucken Topfpflanzen auf dem Fensterbrett. Niemanden scheint es zu stören, dass diese Bilder vor mehr als zehn Jahren aufgenommen wurden.
So viele von uns sind wieder zu Kindern geworden. Nicht dass wir danach strebten, verstehst du, oder dass irgendjemand sich dessen wirklich bewusst wäre. Doch wenn die Hoffnung schwindet, wenn man erkennt, dass man sogar die Hoffnung auf die Hoffnung selbst aufgegeben hat, dann neigt man dazu, die Lücken mit Träumen aufzufüllen, mit kindlichen Gedanken und Geschichten, um nicht schlappzumachen. Auch die abgehärtetsten Menschen haben dann Mühe, sich zu bremsen. Mir nichts dir nichts unterbrechen sie, was sie gerade tun, setzen sich hin und reden von den Sehnsüchten, die in ihnen aufgestiegen sind. Essen ist natürlich eines der Lieblingsthemen. Oft genug kann man Leute minuziös die Gänge einer Mahlzeit beschreiben hören; angefangen bei den Suppen und Vorspeisen und so langsam weiter bis zum Dessert verweilen sie bei jedem Geschmack und jeder Würze, bei all den verschiedenen Aromen und Düften, konzentrieren sich einmal auf die Zubereitungsart, einmal auf die Wirkung des Essens selbst, vom ersten Kribbeln des Geschmacks auf der Zunge bis zu dem sich allmählich ausbreitenden Gefühl des Friedens, wenn der Bissen die Speiseröhre hinunter in den Magen wandert. Diese Gespräche, die sich manchmal stundenlang hinziehen, unterliegen einem sehr strengen Protokoll. Zum Beispiel darf man nicht lachen, und man darf sich auf keinen Fall von seinem Hunger überwältigen lassen. Keine Ausbrüche, keine unbedachten Seufzer. Dergleichen würde zu Tränen führen, und nichts verdirbt ein Gespräch übers Essen nachhaltiger als Tränen. Das beste Ergebnis erzielt man, wenn man seinen Gedanken erlaubt, in die Worte zu schlüpfen, die aus dem Mund der anderen kommen. Lässt man sich von den Worten verzehren, kann man seinen gegenwärtigen Hunger vergessen und in das eintreten, was die Leute «die Stätte des nahrhaften Scheins» nennen. Manche behaupten sogar, diese Essensgespräche hätten einen Nährwert – die richtige Konzentration und ein entsprechendes Verlangen vorausgesetzt, den Worten der Teilnehmer Glauben zu schenken.
All das gehört zur Geistersprache. Es gibt alle möglichen Gesprächsvarianten in dieser Sprache. Die meisten beginnen, indem jemand zu einem anderen sagt: Ich wünschte. Was man sich wünscht, ist beliebig, Hauptsache, es kann nicht geschehen. Ich wünschte, die Sonne ginge niemals unter. Ich wünschte, mir wüchse Geld in den Taschen. Ich wünschte, in der Stadt ginge es zu wie in alten Zeiten. Du siehst, worauf es ankommt. Absurditäten und Kindereien, ohne Sinn und Bezug zur Wirklichkeit. Im allgemeinen halten die Leute sich an den Glauben, dass die Lage, so schlimm sie auch gestern war, gestern besser war als heute. Und die von vorgestern besser als die von gestern. Je weiter man zurückblickt, desto schöner und begehrenswerter erscheint einem die Welt. Jeden Morgen kämpft man sich aus dem Schlaf, um Verhältnissen ins Auge zu blicken, die schlimmer sind als die gestrigen, aber indem man von der Welt spricht, die vor dem Schlafengehen existierte, kann man sich vorgaukeln, der
Weitere Kostenlose Bücher