Im Land der letzten Dinge (German Edition)
abschreiben, eine saubere handschriftliche Kopie des Manuskriptes anfertigen. Mit einer Schreibmaschine wäre es natürlich besser gegangen, aber Sam hatte seine einige Monate zuvor verkauft, und eine neue konnten wir uns unmöglich leisten. Es war schon schwer genug, immer für einen ausreichenden Vorrat an Bleistiften und Kugelschreibern zu sorgen. Die winterlichen Engpässe hatten die Preise auf Rekordhöhen getrieben, und ohne die sechs Bleistifte, die ich noch besaß – und die zwei Kugelschreiber, die ich zufällig auf der Straße fand –, wäre uns das Material wahrscheinlich ausgegangen. Papier hatten wir im Überfluss (Sam hatte sich noch am Tag seines Einzugs einen Vorrat von zwölf Ries angelegt), dafür stellten die Kerzen ein weiteres Problem dar, das unsere Arbeit behinderte. Um unsere Ausgaben niedrig zu halten, waren wir aufs Tageslicht angewiesen, aber wir steckten mitten im Winter, und die Sonne zog in wenigen kurzen Stunden ihren mickrigen Bogen über den Himmel, und wenn die Arbeit an dem Buch sich nicht ewig hinziehen sollte, mussten wir eben gewisse Opfer bringen. Wir versuchten uns auf vier bis fünf Zigaretten pro Abend zu beschränken, und Sam ließ seinen Bart wieder wachsen. Rasierklingen waren schließlich ein Luxus, und als es darum ging, ob er ein glattes Gesicht oder ich glatte Beine haben sollte, gewannen die Beine spielend.
In den Magazinen waren Kerzen Tag und Nacht erforderlich. Die Bücher befanden sich im innersten Kern des Gebäudes, und folglich gab es dort kein einziges Fenster. Da der Strom schon vor langer Zeit gesperrt worden war, musste man also sein eigenes Licht mitbringen. Angeblich hatte es in der Nationalbibliothek früher einmal über eine Million Bände gegeben. Diese Zahl hatte sich, als ich dorthin kam, bedeutend verringert, doch Hunderttausende waren noch übrig, eine beunruhigende Lawine von Druckerzeugnissen. Manche Bücher standen aufrecht in ihren Regalen, manche waren chaotisch am Boden verstreut, andere lagen zu wirren Haufen aufgestapelt. Es gab eine streng gehandhabte Bibliotheksverordnung, die es untersagte, Bücher aus dem Gebäude zu entfernen, aber dennoch waren viele hinausgeschmuggelt und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Man konnte sich ohnehin darüber streiten, ob die Bibliothek überhaupt noch als solche zu bezeichnen war. Das Klassifikationssystem war vollkommen zerstört, und bei der unter den Büchern herrschenden Unordnung war es praktisch unmöglich, irgendeinen gewünschten Band zu finden. Wenn man bedenkt, dass das Magazin sich über sieben Stockwerke erstreckte, war die Aussage, ein Buch sei nicht am richtigen Platz, gleichbedeutend mit der, es habe aufgehört zu existieren. Selbst wenn es in dem Gebäude physisch anwesend gewesen wäre, stand fest, dass es für niemanden mehr auffindbar war. Ich stöberte für Sam einige alte städtische Register auf, musste mich aber bei den meisten meiner Exkursionen dorthin schlicht darauf beschränken, Bücher aufs Geratewohl einzusammeln. Ich war nicht sonderlich gern da unten, denn man konnte nie wissen, wem man dort begegnete, und außerdem war mir der klamme und modrige Verfallsgeruch zuwider. Ich packte mir immer so viel Bücher wie möglich unter beide Arme und rannte damit zu unserem Zimmer zurück. Mit diesen Büchern heizten wir uns durch den Winter. Da jeglicher andere Brennstoff fehlte, verbrannten wir sie in dem gusseisernen Ofen, um uns zu wärmen. Ich weiß, das hört sich furchtbar an, aber uns blieb wirklich keine andere Wahl. Entweder das oder erfrieren. Das Paradoxe daran entgeht mir keineswegs – all diese Monate an einem Buch zu arbeiten und gleichzeitig Hunderte von anderen Büchern zu verbrennen, um nicht zu frieren. Merkwürdigerweise empfand ich keinerlei Bedauern dabei. Ehrlich gesagt, ich glaube sogar, es hat mir Spaß gemacht, all diese Bücher den Flammen zu übergeben. Vielleicht löste das irgendeine heimliche Wut in mir; vielleicht entsprang es einfach der Erkenntnis, dass es völlig belanglos war, was mit ihnen geschah. Die Welt, der sie angehört hatten, war am Ende, und jetzt wurden sie wenigstens einem vernünftigen Zweck zugeführt. Die meisten waren es ohnehin nicht wert, aufgeschlagen zu werden – kitschige Romane, Sammlungen von politischen Reden, veraltete Lehrbücher. Wann immer ich etwas fand, das genießbar aussah, legte ich es zurück und las es. Manchmal, wenn Sam erschöpft war, las ich ihm vor dem Einschlafen etwas vor. Ich erinnere mich, auf
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