Im Land der letzten Dinge (German Edition)
Auferstehungsagenten öfter als einmal im Monat aufzusuchen. Das hatte zur Folge, dass wir das ganze Stadtgebiet durchstreiften, jedes Mal in eine andere Richtung aufbrachen und häufig in Gebiete kamen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Boris hatte einmal ein Auto besessen – einen Stutz Bearcat, behauptete er –, aber der Zustand der Straßen war ihm zu unzuverlässig geworden, und jetzt erledigte er alle seine Besorgungen zu Fuß. Den Gegenstand, den Victoria ihm gegeben hatte, unter den Arm geklemmt, improvisierte er unsere Routen erst unterwegs, wobei er sorgfältig darauf achtete, Menschenansammlungen aus dem Weg zu gehen. Er führte mich durch Seitengassen und über verlassene Pfade, schritt gewandt über das zerfressene Pflaster, umging die zahlreichen Hindernisse und Fallgruben, schwenkte nach links und schwenkte nach rechts, ohne den Rhythmus seines Gangs ein einziges Mal zu unterbrechen. Für einen Mann seines Umfangs bewegte er sich mit erstaunlicher Wendigkeit, und oft hatte ich Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten. Vor sich hin summend oder von diesem und jenem plaudernd, tänzelte Boris nervös und gut gelaunt dahin, während ich hinterhertrottete. Er schien sämtliche Auferstehungsagenten zu kennen, und für jeden hatte er seine besondere Vorgehensweise: Bei manchen platzte er mit ausgebreiteten Armen durch die Tür, bei anderen schlich er still hinein. Jede Persönlichkeit hatte ihren wunden Punkt, auf den Boris mit seiner jeweiligen Masche haargenau abzielte. War ein Agent für Schmeicheleien anfällig, dann schmeichelte Boris ihm; war ein Agent in die Farbe Blau vernarrt, gab Boris ihm etwas Blaues. Manche hatten eine Vorliebe für schickliches Gebaren, andere gaben sich gern kumpelhaft, wieder andere waren reine Geschäftsleute. Boris verwöhnte sie alle und log ohne die geringsten Gewissensbisse, dass sich die Balken bogen. Aber das gehörte mit zu dem Spiel, und als etwas anderes hat Boris es niemals betrachtet. Seine Geschichten waren grotesk, aber er erfand sie so schnell, sprudelte so detaillierte Einzelheiten hervor, redete mit einer solchen Überzeugungskraft, dass es einem schwerfiel, sich nicht davon einwickeln zu lassen. «Mein lieber, guter Mann», sagte er etwa. «Sehen Sie sich diese Teetasse genau an. Nehmen sie sie in die Hand, wenn Sie wollen. Schließen Sie die Augen, halten Sie sie an die Lippen und stellen sich vor, daraus Tee zu trinken – so wie ich es vor einunddreißig Jahren in den Salons der Gräfin Oblomow getan habe. Ich war noch jung damals, Literaturstudent an der Universität, und dünn, falls sie das glauben können, dünn und ansehnlich, mit einem schönen Lockenkopf. Die Gräfin war die hinreißendste Frau von ganz Minsk, eine junge Witwe mit übernatürlichem Charme. Der Graf, Spross des reichen Oblomow-Clans, war bei einem Duell getötet worden – einem Ehrenhandel, den ich hier nicht zu erörtern brauche –, und Sie können sich vorstellen, was für eine Wirkung dies auf die Männer ihres Kreises hatte. Ihre Freier wurden Legion; auf ihre Empfänge war ganz Minsk neidisch. Was für eine Frau, mein Freund, das Bild ihrer Schönheit hat mich nie verlassen: das leuchtendrote Haar; der weiße, wogende Busen; die vor Geist sprühenden Augen – und ja, ein hauchdünner Anflug von Verruchtheit. Man konnte schier verrückt darüber werden. Wir wetteiferten miteinander um ihre Aufmerksamkeit, wir beteten sie an, wir schrieben ihr Gedichte, wir alle waren rasend verliebt in sie. Und doch war ich es, der junge Boris Stepanovich, ich war es, der schließlich die Gunst dieser einmaligen Verführerin errang. Ich erzähle Ihnen dies in aller Bescheidenheit. Hätten Sie mich damals sehen können, dann wüssten Sie, wie das möglich war. Es kam zu Rendezvous in abgelegenen Winkeln der Stadt, spätabendlichen Verabredungen, heimlichen Besuchen auf meiner Mansarde (sie ging inkognito durch die Straßen) und jenem langen, leidenschaftlichen Sommer, den ich als Gast auf ihrem Landgut verbrachte. Die Gräfin überwältigte mich mit ihrer Großzügigkeit – nicht nur, was ihre Person betraf, was schon genug gewesen wäre, versichere ich Ihnen, mehr als genug! –, sondern durch die Geschenke, die sie mir mitbrachte, die endlosen Freundlichkeiten, die sie mir erwies. Eine in Leder gebundene Ausgabe von Puschkin. Einen silbernen Samowar. Eine goldene Uhr. So vieles, dass ich gar nicht alles aufzählen kann. Darunter befand sich auch ein erlesenes Teeservice, das früher
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