Im Land der Mond-Orchidee
wieder
erbrach. Das war in der letzten Woche schon zwei Mal der Fall gewesen, und ihr
hatten die Knie zu zittern begonnen, als ihr klar wurde, dass sie schwanger
war. Onkel Merten hatte wohl schon Verdacht geschöpft, denn er betrachtete sie
mit einem scharfen Blick aus seinen eingesunkenen, dunkel umschatteten Augen,
aber er sagte nichts. Sie fragte sich, ob er ahnte, was vorging, und war froh,
dass es nicht in seiner Art lag, eine Bemerkung darüber zu machen. Auf keinen
Fall durfte Tante Käthe merken, welche Ãngste sie quälten, sonst würde die alte
Dame sich noch im letzten Augenblick neue Sorgen aufbürden. Und Frieder wollte
sie es auch nicht sagen. Er sollte es erst erfahren, wenn sie ihrer Sache ganz
sicher war. Sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde, wenn sie im neuen
Land gleich auch noch für einen Säugling Sorge tragen mussten. Wahrscheinlich
würde er ihr stumm, aber deutlich zu verstehen geben, dass er die ungelegen
kommende Schwangerschaft als ihre alleinige Schuld ansah. Als hätte er jemals
gefragt, ob es ihr recht war, wenn er zu ihr kam!
Die Doktorsleute waren inzwischen mit ihrem Einspänner angekommen.
Frieder stand mit zwei dick gepackten und sorgfältig zugeschnallten Koffern im
Hof. Sie warf einen letzten Blick auf ihr Arbeitszimmer und auf die Sammlung,
die im Mülleimer verschwinden würde, sobald das Fuhrwerk um die Ecke
verschwunden war. Tante Käthe würde sich um vieles wohler fühlen, wenn das
Heidenzeug aus dem Hause verschwunden war. Als einziges Erinnerungsstück nahm
sie den kleinen Stier mit, den sie heimlich in ihre Tasche steckte. Er war aus
dem Moor gekommen, er sollte sie immer an das Moor erinnern.
Dann stieg sie die Treppe hinunter in die Diele, wo Onkel Merten
stand und seine Pfeife rauchte. In dem Augenblick, in dem sie ihn allein
antraf, sah sie die Gelegenheit, und ohne einen Augenblick zu überlegen, fragte
sie: »Onkel, was ist aus meiner Mutter geworden? Der Pfarrer sagte mir gestern,
sie sei vielleicht noch am Leben.«
Die Frage traf ihn so unvorbereitet, dass er zu husten begann. Er
nahm seine Pfeife aus dem Mund, stocherte darin herum, um Zeit zu gewinnen, und
brummte schlieÃlich: »Unsinn.«
»Aber ihr müsst es doch wissen. Ihr habt sie in diese Irrenanstalt
bringen lassen. Wenn sie noch lebt, schickt man euch eine Rechnung, nicht wahr?«
Er hatte sich wieder gefangen. »Sieh her, Neeleken«, sagte er in dem
Ton, in dem er ihr erklärt hatte, dass sie nun doch ein groÃes, vernünftiges
Mädchen sei und sich nicht mehr vor Moorgeistern fürchten müsse. »Mag sein,
dass sie noch am Leben ist, wenn man den Zustand Leben nennen kann. Als man sie
von hier wegbrachte, konnte sie weder hören noch sehen noch reden, und ich
wüsste nicht, was sich daran geändert haben sollte.«
»Hast du sie irgendwann einmal besucht? Oder Tante Käthe?«
Der Abscheu in seinem Gesicht, obwohl er ihn zu unterdrücken suchte,
war deutlich. Nein, Onkel Merten war kein Mann, der am Bett eines lebenden
Leichnams saÃ, und wegen Tante Käthe brauchte sie gar nicht erst zu fragen,
deren Nerven hätten ein solches Erlebnis niemals ertragen. »Wozu?«, knurrte er, wütend darüber, dass sie ihn mit ihren
Fragen belästigte. »Ich habâs dir doch schon gesagt! War blind und taub und
stumm. Wozu hätten wir sie da wohl besuchen sollen? Und was hätte es dir gebracht,
auÃer dir die Freude am Leben zu verderben?«
Resignation überkam Neele. Es hatte keinen Sinn, mit ihren
Verwandten jetzt noch darüber zu reden. Die Zeit drängte.
»Wollen wir?«, fragte sie betont forsch.
Merten nickte und schritt zur Tür.
DrauÃen brach die Sonne durch Schleierwolken. Ein frischer Wind
wehte den charakteristischen, faulig-bitteren Geruch des Moors in den Hof. Die
beiden Fuhrwerke standen bereit, in dem einen saÃen die Doktorsleute, den
zweiten bestiegen Merten, Frieder und Neele. Sie zog den dicken Wollumhang eng
um sich zusammen. Das Wetter war typisch für den Altweibersommer â glühend heiÃ
am Mittag, aber frisch am Morgen und Abend und bereits empfindlich kalt in der
Nacht. Sie versuchte sich zu erinnern, was Lennert ihr über das Wetter in Java
erzählt hatte. Erstickend heià im Sommer. Feucht in der Regenzeit, wie man den
Winter dort nannte. Frühling und Herbst gab es keinen. Entweder man verdorrte,
oder die Wäsche
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