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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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die Selmakers und
Anderlies’ saßen, waren es Burschen, die nach Namibia aufbrachen, um dort auf
den deutschen Diamantfeldern in der Lüderitzbucht zu arbeiten.
    Â»Die Dummköpfe«, flüsterte Lennert seinen Begleitern zu. »Die
glauben wohl, sie werden dafür bezahlt, dass sie die Diamanten aufklauben und
in die Tasche stecken! Die werden sich noch wundern, wie hart die Arbeit auf
den Feldern dort ist.«
    Neele nickte, gab aber keine Antwort. Die Burschen waren selbst
schuld, wenn sie enttäuscht wurden; immerhin waren sie freiwillig aufgebrochen.
    Die junge Frau, die noch nie eine große Reise gemacht hatte, fühlte
sich jetzt schon hilflos, obwohl eigentlich gar nichts schiefgehen konnte.
Früher war es ein wüstes Abenteuer gewesen, das stimmte. Viele, die sich frohen
Herzens auf den Weg gemacht hatten, waren gescheitert, ehe sie die ferne Küste
überhaupt erreicht hatten. Manche hatten es nicht einmal bis an Bord des
Schiffes geschafft, sondern waren schon im Hafen Opfer der Betrüger oder Räuber
geworden, die in den naiven Landleuten ihre besten Opfer fanden. Und wer es an
Bord schaffte, war auch nicht zu beneiden.
    In den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts war man darauf gekommen,
dass man die Freiräume zwischen der Ladung mit Menschen beladen konnte. Der
schmale Platz in den winzigen Fünfhundert-Tonnen-Dampfern wurde mit
Billigreisenden gefüllt, die keinerlei Komfort zu erwarten hatten. Sogar ihr
Essen mussten sie selbst mitbringen, und dauerte die Reise länger als geplant,
so konnte es ihnen durchaus passieren, dass sie verhungerten. Später, als es
sich bei den Auswanderern nicht mehr um eine Handvoll Abenteurer handelte,
sondern Scharen von Menschen ihre Heimat verließen, wurden sie in den
Zwischendecks in riesigen Schlafsälen zusammengedrängt, gepeinigt von Enge,
Infektionskrankheiten, üblen Gerüchen und mörderischer Hitze, sobald sie die
tropischen Gebiete erreicht hatten. Schließlich übernahmen die großen
Reiseagenturen wie der Norddeutsche Lloyd die Organisation der Reise, in erster
Linie, um den Reedereien lästige Arbeit zu sparen. Aber auch die Auswanderer
profitierten davon. Die Reisen wurden mit allem Drum und Dran pauschal gebucht,
die Reisenden mussten nicht mehr fürchten, Betrügern in die Hände zu fallen,
sie mussten auch nicht mehr wochenlang im Hafen warten – wo manch einer seinen
letzten Pfennig ausgab –, sondern die Fahrzeiten von Zug und Schiff wurden
aufeinander abgestimmt, alles war bis aufs Kleinste geregelt.
    Wenn sie an der Kaje in Bremerhaven ankamen, würde der holländische
Hochseedampfer Het Meisje Mariaan bereits im Hafen
liegen; sie würden ohne Zwischenstopp von ihrer Haustür in Norderbrake zu der
von Pastor Clemens’ evangelischem Internat in Batavia geschafft werden, als
wollten sie nur gerade im nächsten Dorf etwas einkaufen. Dr. Anderlies hatte
sich nicht genug begeistern können für diese moderne Art, die Welt kennenzulernen,
aber Neele war ganz und gar nicht seiner Meinung. Sie hatte Angst, kalte,
schreckliche Angst. Sie warf Frieder einen Seitenblick zu und stellte fest,
dass er auch nicht eben begeistert aussah. Natürlich würde er nie zugeben, dass
ihn jetzt angesichts der nahen Abreise der Mut zu verlassen drohte; das hätte
bedeutet, eine Schwäche einzugestehen, aber seine Stirn war finster gerunzelt
und seine Augen ausdruckslos wie blaue Kieselsteine. Aber wie glücklich hätte
er sie, Neele, gemacht, hätte er einfach nur ihre Hand ergriffen und gesagt:
»Komm, Mädchen, das ist denn doch nicht das Richtige für uns – lass uns zurückfahren
nach Norderbrake!«
    Als die Reisenden endlich Bremerhaven erreichten, fiel der Regen in
schweren Strähnen und verschleierte die Sicht. Sie konnte gerade nur einen
Blick auf das berühmte Auswandererhaus werfen, das Lennert ihr im Vorbeifahren
zeigte, einen mächtigen vieltürmigen Bau, der wie ein mittelalterliches Schloss
am alten Hafen aufragte. Der Kaufmann Johann Georg Claussen hatte es errichtet,
um den Reisenden zu helfen, die bis dahin oft wie Schweine in den unwürdigsten
Unterkünften zusammengepfercht worden waren – und das womöglich monatelang,
wenn widrige Winde ihre Schiffe im Hafen festhielten. Denn die Kapitäne waren
nicht verpflichtet, sich um ihr menschliches Kargo zu kümmern.
    Â»Da ist viel geschehen«,

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