Im Land der Mond-Orchidee
ruhige Fahrt und gutes
Wetter dem Ãbel bald ein Ende setzen würden.
Da er keine offizielle Funktion hatte, konnte er nichts anderes tun,
als die Augen offen zu halten, ob er bei einem von ihnen eine ernstere
Erkrankung fand als Seekrankheit oder eine Erkältung, die sich bei dem Hin und
Her zwischen der dumpfen Hitze im Schiffsbauch und der scharfen Kälte beim
Luftschnappen auf dem Promenadendeck häufig einstellte. Schien es ihm, dass
irgendwo die Gefahr einer Infektionskrankheit im Verzug war, so machte er den
Bordarzt darauf aufmerksam. Er war vor allem wegen der Kinder in Sorge, die oft
in einem schlechten Zustand an Bord kamen, kränklich und unterernährt, und bei
denen man zudem nie wusste, ob sie nicht eine der gefährlichen
Kinderkrankheiten wie Scharlach, Masern oder Windpocken einschleppten. Zwar
wurden offensichtlich Kranke abgewiesen, aber man wusste ja nicht, ob ein Kind
bereits infiziert war und die Krankheit sich erst an Bord bemerkbar machte.
Allmählich wechselte die Meisje Mariaan den Kurs in Richtung Amsterdam, fuhr an der niederländischen Küste, dann durch
den Ãrmelkanal und schlieÃlich an der französischen Küste entlang. Ãberall, wo
sie anlegte, gingen Auswanderer an Bord. Als Lennert eines Abends mit Paula und
Neele im Aufenthaltsraum beisammensaÃ, sagte er mit gedämpfter Stimme: »Habt
ihr manche von den Familien gesehen, die da an der Kaje standen? Die Leute
können sich ja kaum auf den Beinen halten, wie wollen die in den Tropen
überleben? Die Regierungen ermutigen die Armen dazu, auszuwandern, um sie loszuwerden,
und suchen alle auÃer Landes zu schaffen, für die sie sonst Kranken- oder
Armenhäuser bauen müssten â oder Friedhöfe.«
Neele erinnerte sich an die bleichen Frauen, die, in ihre
Umschlagtücher gewickelt, an Bord gingen, von hageren, verzweifelt aussehenden
Männern und jammervollen Kindern begleitet, und bei seinen Worten begann sie zu
weinen. Paula nahm sie rasch in den Arm. »Nun komm, Neeleken, hör auf damit! Du
bist doch nicht gemeint. Du bist jung und kräftig und warst keinen Tag in
deinem Leben krank auÃer Scharlach und Mumps, das bekommen alle Kinder.«
»Ich weine nicht meinetwegen. Ich finde es schrecklich, dass sie
diese Menschen dazu verlocken, irgendwohin ans Ende der Welt zu reisen, nur
damit man sie im Dschungel oder im Wüstensand verscharren kann.«
Ihre beiden Freunde schwiegen. Alle drei wussten, dass nicht nur die
Engländer und die Holländer ihr hungerndes Volk auf diese Weise aus dem Land zu
schaffen suchten. Auch die Minister des deutschen Kaisers arbeiteten an Plänen,
die Ãrmsten in Arbeitskolonien nach Südwestafrika abzuschieben, wo sie für Brot
und Suppe das Land urbar machen sollten. Vielen schien es, als sei eine solche
Zwangsarbeit noch allemal besser, als im eigenen Haus zu verhungern, aber sie
wussten nicht, wie schnell die harte Arbeit und das ausdörrende Klima sie
vernichten würden.
In Amsterdam und London stiegen auch viele Kolonialbeamte zu, die
auf Heimaturlaub gewesen waren und jetzt an ihre Dienstorte zurückkehrten.
Neele, Paula und der junge Arzt lehnten an der Reling und sahen zu, wie Männer
in Uniformen die Gangway hinaufeilten, viele von ihnen mit dunkelhäutigen
Dienern im Gefolge. Manche dieser Männer waren Soldaten, andere zivile Beamte.
Ãberall auf der Welt unterhielt Europa seine Kolonien, umklammerte die reichen
Länder der Dritten Welt mit seiner militärischen und bürokratischen Macht.
Neele empfand eine gewisse Erleichterung beim Anblick der vielen
Kolonialbeamten, die sich da auf den Weg zu ihren Dienstorten machten; ihr
schien, dass alle diese Männer dazu abgeordnet waren, ihr zukünftiges Leben in
der Ferne ein wenig sicherer zu machen. Es tat gut zu wissen, dass in dem
fremden, feindlichen Land nicht nur heilige Männer wie Pastor Ormus wirkten,
sondern auch Männer mit Säbeln und Uniformen, die schon dafür sorgen würden,
dass die Einheimischen sich gebührend benahmen.
Ihr fiel auf, dass in Amsterdam und London auch viele fremdartige
Menschen an Bord kamen, manche in europäischer Kleidung, manche in nie
gesehener Tracht aus bunter Seide und grellfarbigem Tuch. Das waren Menschen
malaysischer, arabischer, indischer, afrikanischer und chinesischer Abstammung,
die meisten davon Geschäftsleute. Ihr Ziel waren die Städte, an denen die Meisje Mariaan
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