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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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mit
dem Geld davongemacht, und jetzt lachte er sich ins Fäustchen, dass er Frau und
Kind losgeworden war. Oder schämte er sich für seine Feigheit? Egal, die Tat
war getan, und Frieder war von jetzt ab auch nicht mehr interessant, es ging
allein um die arme Neele und ihr Kind. Das war nun wirklich das Letzte, was sie
noch gebraucht hatte. Andererseits würde es in dem Schulheim wohl nicht allzu
schwierig sein, einen Säugling unterzubringen.
    Paula merkte, dass sie nicht schlafen konnte. Die Ungeduld hielt sie
wach. Obwohl sie in Norddeutschland geboren und aufgewachsen war, hatte sie nie
eine große Zuneigung zu den kalten, düsteren Landschaften dort empfunden. Ihr
Interesse hatte stets den Tropen gegolten. Schon als Kind hatte sie von Ländern
geträumt, in denen immer die Sonne schien. Allmählich war aus dem Traum von den
Sonnenländern der feste Entschluss geworden, in eines dieser Länder zu ziehen,
und als sie dann von der Schule in Batavia gehört hatten, sah sie sich am Ziel
ihrer Wünsche. Lennert hatte sich rasch überzeugen lassen, sich ihr
anzuschließen. Ihm ging es nicht im Besonderen um Java, er wollte einfach nur
in die Welt hinaus, und die Insel lag günstig, um von dort aus andere
interessante Länder zu erreichen.
    Jetzt waren sie unterwegs in ihr Paradies. Paula freute sich darauf,
und vor allem war sie voll von einer unbändigen Neugier, wie sich das in Meyers Konversations-Lexikon so trocken Beschriebene im
prallen Leben ausnehmen mochte – die tropischen Früchte und Blumen, die fremdartigen
Menschen, die die Insel bevölkerten, ihre eigentümliche Religion, ihre Sitten
und Gebräuche, die wunderlichen Tiere, von denen es nur so wimmelte …

2
    M it gleichmäßiger
Geschwindigkeit schipperte der gewaltige Liner an der langen Reihe von Inseln
vorbei, die sich an der Küste entlangzogen: Langeoog, Spiekeroog, Norderney,
Borkum, Memmert. Für einen unerfahrenen Kapitän bedeuteten diese Inseln eine
heimtückische Gefahr, ihren Strand mit der Küste Deutschlands zu verwechseln,
und verbrecherische Menschen hatten sich das zunutze gemacht. Immer wieder
hatten Strandräuber Körbe mit dürrem Holz angezündet und so die fremden Schiffe
auf die Sandbänke gelockt, wo sie auseinanderbrachen. Dann erschlugen die
Strandräuber die Seeleute und Passagiere, die sich eben mit letzter Kraft aus
den Fluten gerettet hatten, und schleppten das Treibgut in ihre Verstecke.
    Das Moor um Norderbrake war ebenfalls ein ständiger Schauplatz von
Verbrechen gewesen, die allerdings weitaus harmloserer Natur waren und nur den
kaiserlichen Geldbeutel schädigten. Auf den dünnen Wasserrinnsalen zwischen den
Schilfinseln waren die flachen Boote der Schmuggler unterwegs, auf
Schleichpfaden, die nur sie allein kannten, schleppten sie Säcke und Truhen mit
unverzolltem Gut ins Inland. Jeder wusste es, niemand sprach darüber, und
Kindern wurde nachdrücklich klargemacht, dass sie ihre Nase nicht zu weit
vorstrecken durften.
    Die grauen Wolken hingen so tief über der Nordsee, dass ihre
Nebelschweife das Wasser zu berühren schienen. Nebel verhüllte die Spitzen der
Takelage und die gähnenden Mäuler der Schornsteine, aus denen abwechselnd Fahnen
von Dampf und schwarzer Ruß quollen. Neele fühlte sich als Gefangene auf dem
Schiff, das sie zum größten Teil nicht betreten durfte. Nur die finstere Höhle
des Zwischendecks war ihr zugestanden und das Promenadendeck der dritten
Klasse, das von der Mannschaft anscheinend als Rumpelkammer genutzt wurde, da
es rundum vollgestopft war mit vertäutem Kram unter schwarzem Persenning. Bei
schlechtem Wetter gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man blieb auf dem offenen
Deck und wurde nass, oder man blieb im Inneren des Schiffes und litt unter der
öligen Luft und der dumpfen Hitze. Neele mochte sich gar nicht vorstellen, wie
es erst den Männern ging, die unten im Maschinenraum an den Feuerlöchern der
Kessel und in den Kohlebunkern arbeiteten, wo die Hitze um die vierzig Grad
betrug, die Luft schwer von Ruß und Asche war und den Arbeitern ständig
siedendes Wasser und glühende Funken entgegenspritzten, sodass ihre Arme und
Gesichter übersät von kleinen Narben waren. Sie wich ihnen ängstlich aus, wenn
sie ihnen begegnete, und schalt sich selber für ihre Dummheit, dass sie sich
vor Männern fürchtete, die die Narben harter Arbeit

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