Im Land der Mond-Orchidee
am Leib trugen. War es die
Schwangerschaft oder Frieders Verrat, die sie so zimperlich machten?
Am liebsten wäre sie den ganzen Tag in ihrer Koje liegen geblieben,
aber das lieÃen Paula und Lennert nicht zu. Der junge Arzt hielt ihr eine
energische Predigt, als Paula ihm berichtete, dass sie schon den dritten Tag
nicht hatte aufstehen wollen. Unbekümmert um das Verbot, Personen des anderen
Geschlechts in ihren Kabinen aufzusuchen, erschien er und setzte sich auf den
Rand der gegenüberliegenden Koje.
»Neele«, sagte er, »so geht das nicht. Du machst dich selber krank.
Willst du jetzt etwa bis Batavia im Bett liegen bleiben? Das schadet dir und dem
Kind.«
Sie weinte. »Wozu soll ich überhaupt aufstehen? Um diese
Hühnertreppe hinaufzuklettern und oben über die Reling zu kotzen? Oder mir
anzusehen, wie stundenlang graues Wasser und Nebel vorbeiziehen?«
»Es geht allen an Bord so, und alle müssen irgendwie damit
fertigwerden.«
»Ihr seid nicht schwanger, und ihr seid nicht sitzen gelassen worden.«
Er zögerte eine ganze Weile, dann platzte er heraus: »Neeleken, sag
mir ehrlich, würdest du dich sehr viel besser fühlen, wenn Frieder jetzt bei
dir wäre? Würde er dich wirklich trösten, wenn du niedergeschlagen bist, und
dich aufheitern, wenn du traurig bist? Nein. Er würde nur dasitzen und vor sich
hinbrummeln, wenn du ihm erzählst, dass es dir schlecht geht, und irgendwann würde
er aufstehen und weggehen, weil er nicht damit umgehen kann, dass jemand Sorgen
oder Kummer hat. Frieder war ein feiner Mensch, wenn du ihm gesagt hast: Kannst
du mir helfen und meinen alten Obstbaum umschneiden? Oder: Kannst du mir
helfen, meinen Schuppen abzureiÃen? Da war ihm keine Mühe zu viel. Was er mit
seinen beiden Händen tun konnte, das tat er. Aber wenn du etwas von ihm
brauchtest, was mit dem Herzen zu tun hatte, dann konnte er das einfach nicht.
Also rede dir nicht ein, dass du traurig bist, weil er nicht an deiner Seite
ist. Wenn er da wäre, würde er nur sagen: Ach, hör auf, dich ständig
anzustellen, ich kann das Weibergeheule nicht hören. Stimmtâs?«
Sie gab seufzend zu, dass es stimmte. »Trotzdem, Lennert. Was soll
ich tun? Ich habe überhaupt keine Kraft. Mir ist andauernd übel, und meine Knie
zittern bei jedem Schritt.«
»Eine erste Schwangerschaft ist immer anstrengend. Geh möglichst
viel an die frische Luft, und tröste dich damit, dass es ein natürlicher
Zustand ist, der auch von Natur aus wieder besser wird.«
Neele blickte ihm voll Groll nach, als er sich verabschiedete. Das
war ja ein prächtiger Rat! Es würde schon von selber besser werden, wenn sie
nur lange genug gelitten hatte! Andererseits hatte sie in Norderbrake genug
Schwangerschaften miterlebt, um zu wissen, dass zumindest die würgende Ãbelkeit
tatsächlich mit der Zeit besser wurde und manche Frauen sich in späteren Stadien
der Schwangerschaft geradezu prächtig fühlten â vielleicht würde es ihr ja auch
so ergehen?
Jedenfalls wollte sie keinen Streit mit ihren beiden Begleitern,
also raffte sie sich auf, am Morgen aus dem unbequemen Bett zu kriechen und
einen einigermaÃen sinnvollen Tagesablauf einzuhalten, obwohl es eigentlich
nichts Rechtes zu tun gab. Morgens rief die Glocke zum Frühstück, das aus
schwachem Kaffee und Butterbrot bestand. Danach setzten Paula und Neele sich
für gewöhnlich hin und lasen ihr Kapitel aus der Bibel, wie sie es zu Hause
gewohnt waren, während Lennert sich gleich nach dem Frühstück aufmachte, um
sich umzusehen, wie er es nannte. Es hatte sich rasch herumgesprochen, dass der
schlaksige junge Mann ein Arzt war, und die Zwischendeckpassagiere wandten sich
mit allem an ihn, was sie quälte. Zwar gab es einen Bordarzt, der sich auch um
die Zwischendeckpassagiere kümmerte â was früher nicht der Fall gewesen war â,
aber wie Lennert ihnen erzählte, war sein Einsatz für diese Klasse an
Passagieren gering. Er verschrieb gegen Durchfall Tierkohle und Fasten und
gegen Seekrankheit »Auskotzen«, damit sah er seine Agenda als erfüllt an.
Beides half ja letztendlich auch, wenn die Kranken keine Faser mehr im Magen
und Darm hatten, aber nur die Kräftigen vertrugen diese Kur. Um einige, die
schon schwach und mager gewesen waren, als sie an Bord gegangen waren, machte
Lennert sich ernste Sorgen. Er konnte nur hoffen, dass
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