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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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eifersüchtig ab, wenn Neele nur die
geringste Neigung zeigte, sich mit einer der anderen Frauen zu unterhalten. So
blieb dieser nichts außer Bibellesen, Spaziergänge auf einem klitschnassen Deck
machen, wenn es einmal ein paar Stunden zu regnen aufhörte, und Paulas munterem
Geplauder, das nur ein Thema kannte: Java. Neele merkte, wie ihr die Insel mit
jedem Tag, an dem sie mehr davon hörte, verhasster wurde. Ständig erzählte
Paula ihr, dass es dort Dschungel voll herrlicher Blumen wie Indigo und Mondorchideen
gab und phantastisch bunte Singvögel und lustige Affen, aber was immer Neele
auch hörte, ihr blieben immer nur die Krokodile in Erinnerung, die kochenden
Schlammpfützen und die giftigen Schlangen. Es war, als verwandelte sich das
Gehörte in ihren Ohren, sodass sie von einer ganz anderen Insel hörte, als die
Freundin erzählte.
    Hauptsächlich, um einmal von einem Thema zu reden, das sie selbst
interessierte, vertraute Neele bei einem dieser Spaziergänge Paula an, was der
Pfarrer zu ihr gesagt hatte und was sie Onkel Merten an Antworten abgerungen
hatte.
    Paula war nicht überrascht. »Lennert hat mir bereits davon erzählt.
Er wusste es von dem alten Dr. Steiner, der ja Elsie behandelte – wenn man das
behandeln nennen kann.«
    Neele bemerkte zornig: »Mir scheint, ganz Norderbrake wusste
Bescheid, nur ich nicht! Ich bin ja auch niemand, bloß Elsies Tochter!«
    Paula legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Es kann keine Rede
    sein von ›ganz Norderbrake wusste Bescheid‹. Du weißt doch, wie senil Dr. Steiner schon war, und da hat er Lennert eben alle möglichen Geschichten aus
seiner Praxis erzählt – und eine solche Tragödie konnte er nicht für sich
behalten. Wir haben nicht mit dir darüber gesprochen, weil wir dachten, du
weißt Bescheid und willst genauso wenig wie die Laudruns, dass das Thema
angeschnitten wird.«
    Â»Ich wusste gar nichts. Ich weiß auch jetzt nur, dass sie noch lebt,
weil Onkel Merten weiterhin die Rechnung für den Anstaltsaufenthalt zahlt, aber
er sagte mir, sie sei in einem Zustand, den man kaum noch Leben nennen könne –
und das seit fünfzehn Jahren!«
    Â»Du kannst ihr nicht helfen«, sagte Paula. »Niemand kann das, außer
vielleicht die Ärzte in der Klinik. Was hätte es dir genützt, Bescheid zu
wissen? Du wärst nur trübsinnig geworden bei dem Gedanken, dass deine Mutter
ein so schreckliches Schicksal erlitten hat – dieses Schicksal sich selber
zugefügt hat, um es ganz ehrlich zu sagen. Sie selbst war es schließlich, die
sich in den Kopf geschossen hat.«
    Â»Sie war verzweifelt über den Tod meines Vaters.«
    Â»Das verstehe ich, aber trotzdem sind weder deine Verwandten noch du
irgendwie mitschuldig daran, und ändern kannst du es auch nicht. Vielleicht
hätten sie es dir sagen sollen, vielleicht auch nicht. Für deine Verwandten war
das sicherlich eine schwere Entscheidung. Auf jeden Fall musst du jetzt dein
eigenes Leben leben, Neele. Denk an deine Zukunft und die deines Kindes!«
    Ich denke ja daran, hätte Neele am liebsten gesagt, und bei dem
Gedanken möchte ich mir selber das Leben nehmen, wenn ich nicht solche Angst
hätte, dann so zu enden wie meine Mutter.
    Erst war ihr der reichliche Regen willkommen gewesen, weil er
Sauberkeit bedeutete, aber dann wollte er nicht mehr aufhören. Es gab nichts zu
sehen außer dem bleifarbenen Wasser, das an den Schiffsrumpf klatschte, und den
Schleiern des immer wieder einsetzenden Regens. Wasser oben, Wasser unten.
Neele hatte, schon kurz nachdem sie London passiert hatten, den Eindruck, dass
inzwischen alles um sie herum feucht war und nach Salzwasser schmeckte, sogar
die Speisen, die ihnen täglich vorgesetzt wurden. Und das Essen machte nicht
viel Freude, wenn einem nach den meisten Mahlzeiten übel wurde.
    Neele fühlte das Kleine in sich. Das Kind konnte nicht älter als ein
paar Wochen sein, denn sie war selten mit Frieder vereinigt gewesen und wusste
die Daten genau, aber es betrug sich, als wollte es jetzt schon geboren werden.
Abgesehen von den üblichen Beschwerlichkeiten einer Schwangerschaft hatte sie
das Gefühl einer ständigen Gegenwart, als könnte ein so winziges Geschöpf schon
eine eigene Persönlichkeit entwickelt haben. Und seltsamerweise war es eine
feindselige Nähe, die sie empfand, als wachse etwas Kaltes und

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