Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
Vom Netzwerk:
Sie sich einmal hier ein, und morgen können Sie gleich mit
Ihrer Arbeit anfangen. Was unterrichten Sie denn?«
Damit ließ er seine Besucher allein.
    Lennert warf die Hände in die Luft. Mit gedämpfter Stimme stieß er
hervor: »Das ist auch das Letzte, was ich mir vorgestellt hätte, hier von einem
völlig verrückten alten Mann empfangen zu werden! Ist er immer so, oder hat er
auch helle Momente?«
    Â»Manchmal ist er ganz vernünftig«, gab Richard Auskunft. »Aber in
allem, was das Waisenhaus betrifft, ist er verwirrt. Er will einfach nicht
wahrhaben, dass so viele seiner Kinder gestorben sind. Es war das Ende aller seiner
Pläne, denn diejenigen, die überlebten, haben sich in alle Richtungen
zerstreut, die Lehrer und das übrige Personal ebenso, und er hatte nicht mehr
die Kraft und den Verstand, neu anzufangen.«
    Paula klopfte an den Matratzen der Betten herum, aus denen die Mäuse
das Material für Dutzende Nester geholt hatten. Jedenfalls, sagte sie, würden
sie Decken und Bettwäsche brauchen; wo man das am besten kaufen könne? Sie
erfuhren zu ihrem Erstaunen, dass es ein deutsches Kaufhaus gab, nicht weit
entfernt. Alle Bewohner der Siedlung kauften dort ein, ja, man hätte es ihnen
sehr übel genommen, hätten sie ihren Bedarf woanders zu decken versucht.
Richard erbot sich, sie hinzubringen.
    Neele, die jetzt weitgehend die Fassung wiedergefunden hatte, nahm
den Weg mit klaren Augen wahr. Von der Straße aus sah sie die überschwemmten
Vierecke der Reisfelder im Tal, hellgrünen Rasen und Palmgruppen, und sie
musste zugeben, dass die Landschaft lieblich aussah. Wenn nur nicht alles so
fremdartig gewesen wäre! Die Karren und Leiterwagen, die immer wieder an ihnen
vorbeizogen, waren beladen mit Körben voller Früchte, von denen sie viele nicht
kannte, und wurden gezogen von den mächtigen schwarzen Wasserbüffeln. In den
Reisfeldern ackerten Bauern mit den gleichen Gespannen. Die Bäume waren voll
von Affen, die schnatternd vor der Kutsche davonsprangen und sich die Stämme
hinaufflüchteten. Insekten hingen surrend an den Blüten der Orchideen, die an
ihren dünnen Luftwurzeln über dem Pfad pendelten. Aber wenigstens die Eichhörnchen
sahen aus wie Eichhörnchen und benahmen sich wie solche.
    Als sie den Fuß des Hügels erreichten, auf dessen halber Höhe die
deutsche Villensiedlung lag, stießen sie dort inmitten von Bananenhainen auf
ein Halbrund europäischer Gebäude mit einem kleinen Park in der Mitte. Ein
Brunnen, den ein dünner Bach speiste, sprudelte auf einer Rasenfläche unter
Palmen. Die ein- und zweistöckigen Häuser waren nicht nur im europäischen Stil
erbaut, sie waren auch auf Deutsch angeschrieben: »Kaufhaus«, »Arzt und
Apotheke« und ein Lokal »Zum Dorfkrug«, das zweifellos ein beliebter Treffpunkt
der deutschen Siedler war. Vor allem, als sie das Kaufhaus betrat, konnte sie
sich wieder wie zu Hause fühlen, denn in dem ebenerdigen Gebäude sah es ganz so
aus wie in einem kleinstädtischen Kaufhaus in Deutschland. Es gab dort alles zu
kaufen, was man irgendwann für irgendetwas brauchen konnte. Es war nicht
notwendig, an andere Leute, seien sie nun Einheimische oder andere Kolonisten,
auch nur ein einziges Wort zu richten.
    Frau Selder, die Inhaberin des Kaufhauses, hörte voll Mitleid die
Geschichte an, wie sie hierhergeraten waren. »Ach je«, sagte sie, »man müsste
besser aufpassen auf den alten Herrn, aber wer hat schon die Zeit dazu? Nun,
immerhin haben Sie anständige Zimmer dort, ich weiß das, er hat ja seinerzeit
auch alles bei mir hier gekauft. Diese Kissenbezüge beispielsweise, sehen Sie
nur, die haben sehr hübsche Klöppelspitze um den Rand und mit Zwirn überzogene
Knöpfe …«
    Es war nicht ganz einfach, Frau Selders Kaufhaus zu verlassen, ohne
gleich das gesamte Geld auszugeben. Dann begaben sie sich hinüber in den Dorfkrug,
um ein Glas zu trinken und sich dort ansehen zu lassen. Mittlerweile hatte
nämlich die Geschichte von den drei gestrandeten Landsleuten die Runde in der
gesamten Siedlung gemacht, und Richard meinte, sie würden der Neugier der hier
Ansässigen nicht entkommen. Sie sollten es lieber gleich hinter sich bringen.
    Der »Dorfkrug« machte einen würdevollen, ländlichen Eindruck mit
seinen schwarzen Holztischen und der langen, auf Hochglanz polierten Theke.

Weitere Kostenlose Bücher