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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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jemand Ihr Hinterteil zeigen als Ihre
Füße.«
    Ameya fiel ein: »Das hat nicht nur mit Unreinlichkeit zu tun, es hat
auch einen magischen Grund. Der Boden ist nämlich nicht nur schmutzig, er ist
auch die Sphäre der Dämonen, deshalb hält man die Füße bedeckt. Sonst würde man
sie gewissermaßen aufwischen und im Raum verstreuen.«
    Lennert nickte verständnisvoll, obwohl er sich verwirrt fühlte. Der
junge Mann ihm gegenüber machte, von seiner kakaobraunen Hautfarbe abgesehen,
einen durchaus europäischen Eindruck – jedenfalls schien er nicht weniger
zivilisiert zu sein als irgendeiner der Europäer, die Lennert kannte –, und
doch schien es für ihn ganz selbstverständlich, über auf dem Boden
dahinkriechende Dämonen zu sprechen. Während er seinen Reis mit einer kleinen
Portion scharf gewürzten Fruchtgelees mischte, wanderten seine Gedanken zurück
zu dem Heidenaltar über Norderbrake. Er kam zu dem Schluss, dass Ameya seine
Warnung nur ausgesprochen hatte, weil die Eingeborenen – die richtigen, halb
zivilisierten Eingeborenen – in seinem Land sich fürchteten und man ihnen
keinen Anlass zum Ärger geben sollte.
    Nach dem Essen, das geradezu endlos dauerte, weil es sie alle drei
immer wieder verlockte, noch einen kleinen Bissen zu probieren, machten sie
sich auf den Weg. Dr. Bessemer befahl einem Diener, ihn zu begleiten. Draußen
führte bereits ein anderer Diener zwei Pferde aus dem Stall, die eine
zweisitzige Kutsche mit einem imponierenden Amtswappen an der Seite zogen.
Lennert atmete auf, als er sah, dass er auf der Rückreise im Schatten sitzen
würde. Bequemer als das harte Brett auf dem Büffelkarren war der gepolsterte
Ledersitz ebenfalls. Die beiden Pferde zogen an, und die Kutsche rasselte in
flottem Tempo über den Waterlooplein und dann weiter die gepflasterte Straße
entlang, dem Stadtrand zu. Dr. Bessemer erklärte ihm, er brauche sich in
Zukunft nicht mehr die Mühe zu machen, die Straße entlangzutraben, bis er einen
gutwilligen Karrenbesitzer fand. In dem Losmen, in dem sie ihre erste Nacht
verbracht hatten, standen Gouvernementspferde für die Offiziere und Beamten
bereit, aber auch für Privatpersonen, die ein Pferd mieten wollten.
    Der Amtmann zeigte und erklärte ihm die zahlreichen Gebäude, die
sich um den riesigen Platz gruppierten. Außer dem Regierungsgebäude mit dem
Sitz des Rates von Indien und den Büros der meisten Zivil- und Militärbehörden
lagen hier das Arsenal, die Artillerieschule, das Hospital für christliche
Einwohner – für nichtchristliche waren das »Stads Verband« und das chinesische
Krankenhaus bestimmt –, die Kasernen, das Gefängnis für Europäer, ein Theater
und die 1837 gebaute Zitadelle »Frederik Hendrik«. Lennert nutzte die
Gelegenheit, um sich nach Jan Pieterszoon Coen zu erkundigen, der offenbar eine
sehr bedeutende Rolle in der Geschichte Javas gespielt hatte, da man sein Bild
an so prominenter Stelle aufgehängt hatte. Er merkte, wie Ameya bei der Erwähnung
des Namens die Lippen verzog, als hätte er auf etwas Saures gebissen, aber er
machte keine Bemerkung. Dr. Bessemer hingegen freute sich über die Gelegenheit,
sein Geschichtswissen auszubreiten.
    Er erzählte Lennert, dass dieser bleiche Mann mit dem bedrohlich
spitzen Schnurrbart als der Begründer des holländischen Handelsimperiums gelten
konnte. Er war es, der 1618 ein winziges britisches Fort an der Mündung des
Ciliwungflusses, ganz in der Nähe eines Dorfes namens Jayakarta, überfiel,
eroberte und daraus die Stadt Batavia machte. Sie wurde zur Kommandozentrale
eines Imperiums, das weit über Java, ja, weit über den Malaiischen Archipel
hinausging. Der Einflussbereich des Gouverneurs erstreckte sich bis Japan,
Formosa, Vietnam, Laos, Thailand und Ceylon. 1621 war Batavia bereits eine
Stadt, in der Handel und Gewerbe aller Art, aber auch
die Wissenschaften und Künste blühten.
    Â»Man kann also durchaus sagen«, beschloss Dr. Bessemer seinen
Ausflug in die Vergangenheit, »dass die Kolonialzeit in Java mit Mijnheer Coen
beginnt.«
    Ameya widersprach. Sie habe schon viel früher begonnen, schon zu der
Zeit, als Portugiesen und Spanier die Welt unter sich aufteilten und
entschieden, wer welche Länder überfallen und aussaugen durfte. Den Portugiesen
war Java zugefallen, dessen Reichtum

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