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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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benutzbar gemacht hatten. Lennert merkte, dass
beide Frauen sich für das bescheidene Domizil schämten, aber Dr. Bessemer
kümmerte das nicht. Er ließ sich bequem in einem tiefen Sessel nieder, ließ
sich Tee einschenken und zündete sich eine Zigarre an. Es war ganz offenkundig,
dass er nicht vorhatte, seinen Kontrollbesuch in Eile hinter sich zu bringen.
Ameya dagegen akzeptierte zwar auch, als sie ihm Tee und Kekse anboten,
verschwand aber gleich wieder in den Garten, und als Neele einen Blick zum
Fenster hinauswarf, sah sie ihn mit den drei alten Frauen ein ernsthaftes
Gespräch führen. Sie beobachtete ihn mit großer Neugier. Sie fand, dass er sehr
hübsch war mit seinem seidenglatten, pechschwarzen Haar und der feinen, weichen
Haut, die kaum ein Bartschatten trübte. Er sah elegant aus in seiner weißen
Uniform mit den glänzend geputzten Stiefeln. Er benahm sich wohlerzogen. Und
doch wirkte er so fremdartig, dass Neele Frau Hagedorns Reaktion nicht gänzlich
unverständlich fand. Der junge Mann gehörte einer anderen Rasse an, einem anderen
Volk, einer anderen Religion – oder mussten Kolonialbeamte
getauft sein? Neele fühlte sich hin und her gerissen zwischen ihren Ängsten und
Vorurteilen und der natürlichen Anziehungskraft des Mannes. Sie fragte sich
sogar, wie es sein mochte, einen so ganz und gar fremden Mann zu küssen – auf
die Wange nur, mehr wagte sie sich nicht vorzustellen.
    Während sie darüber nachgrübelte, unterhielt sich Paula angeregt mit
Dr. Bessemer. Neele verzog den Mund. Ihr Reisegefährte dachte doch wohl nicht,
dass man ihm seine Gefühle nicht ansah? Er wurde ja rot wie ein Rosenbusch,
wenn Paula etwas Nettes sagte, und musste sich zwingen, seine Aufmerksamkeit
nicht ihr ganz allein zuzuwenden. Zweifellos war er nur deshalb so schnell
bereit gewesen, ihnen in ihren Schwierigkeiten zu Hilfe zu kommen, damit er
Paula wiedersehen konnte!
    Sie lachte innerlich, denn auf Dr. Bessemer war sie nun ganz gewiss
nicht eifersüchtig, und doch stimmte es sie traurig und neidisch, dass ihre
Freundin einen Verehrer hatte und sie nicht einmal ihren Ehemann hatte halten
können.
    Dann erschien der einheimische Beamte wieder und nahm am Tisch
Platz. Während er an seinem kalten Tee nippte, sagte er: »Die drei Frauen sind
aus einem Dorf in der Nähe, sie waren früher hier im Haus beschäftigt – die eine
als Köchin, die beiden anderen als Pflegerinnen der Kinder. Jetzt wagt sich nur
noch eine von ihnen hierher, die alte Lestari, und das auch nur alle paar Tage,
weil ihr der Pastor so leidtut. Sie sind der Ansicht, die christliche
Gemeinschaft hier habe sich mit einem bösartigen Suduk, einem Schamanen,
angelegt, der ihnen den Typhus geschickt habe. Sie sind überzeugt, dass das
Haus ein Tummelplatz böser Geister ist und alle sterben werden, die darin zu
wohnen versuchen. Deswegen ist außer Lestari, die sehr an Pastor Ormus hängt
und auch ganz gut Deutsch spricht – wenn sie will –, auch niemand von ihnen
mehr zurückgekehrt, nachdem die Krankheit wieder erloschen war. Und sie sagt,
sie sei so uralt, dass sie auf jeden Fall bald sterben werde, mit oder ohne
Suduk.«
    Neele erschrak. »Der Suduk?«, rief sie.
»Ich habe ihn gesehen, zwei Mal schon. Erst bedrohte er Lestari, als er sie aus
dem Haus kommen sah, und dann lief ich ihm über den Weg, als ich zu den
Hagedorns hinunterrannte. Ich muss gestehen, er jagte mir Angst ein.«
    Bessemer nahm ihre Angst nicht ernst. »Lassen Sie sich nicht bange
machen«, sagte er. »Vorderhand haben Sie kein anderes Quartier, also bleiben
Sie hier und richten sich ein, so gut es geht. Ich werde mich inzwischen an den
deutschen Konsul wenden und versuchen, eine Lösung auszuarbeiten.«
    Nachdem die Sache damit erledigt war, hätte Dr. Bessemer sich
eigentlich verabschieden können, aber er hatte keine Eile. Stattdessen erzählte
er von allerlei Fällen, in denen er und sein Mitarbeiter tätig geworden waren.
Natürlich tat er das, um Paulas Gesellschaft so lange wie möglich zu genießen,
aber dann bemerkte Neele plötzlich, dass sie ebenfalls Ziel eines lebhaften
Interesses war.
    Die dunklen Augen unter den langen Wimpern senkten sofort ihren
Blick, als sie darauf aufmerksam wurde, aber nun spürte sie das Leuchten darin.
Ihr wurde heiß und kalt. War es möglich, dass sie so plötzlich das

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