Im Land der Mond-Orchidee
Kollege auszustrahlen, obwohl er in Wirklichkeit noch ein
sehr junger Mensch war. Er konnte nicht viel älter sein als der Arzt selbst.
»Mein lieber Junge!« Dr. Bessemer deutete auf die Sitzgruppe,
klingelte nach dem Diener und orderte Eiswasser für sie alle, wobei er stolz
darauf hinwies, dass man in Batavia vor Kurzem eine Eisfabrik erbaut hatte und
nun nicht mehr darauf angewiesen war, auf das Eisschiff aus Boston zu warten.
»Nun sagen Sie schon, wie geht es Ihnen? Haben Sie sich schon eingelebt in
Ihrem neuen Zuhause?«
»Davon kann leider keine Rede sein. Wir sind in einer sehr
unangenehmen Situation.« Er schilderte dem aufmerksam
lauschenden Amtmann die böse Ãberraschung, die sie bei ihrer Ankunft erlebt
hatten, und wie sie ohne die Hilfe der Hagedorns und des deutschen Klubs völlig
verloren gewesen wären. Zwar hatten sie fürs Erste einmal das Schlimmste
überstanden, aber sie müssten auch an die Zukunft denken, und da sehe es
momentan düster aus.
Bessemer zog nachdenklich an seiner Zigarre. »Das hört sich in der
Tat sehr unangenehm an«, gab er zu. »Was meinen Sie, Ameya?«
Gleichzeitig wandte er sich erklärend an Lennert. »Ameya ist der Wedono dieses
Büros, der einheimische Beamte.« Und als Lennert ihn
fragend ansah, erläuterte er: »Alle Amtsgeschäfte auf Java werden doppelt
geführt, dem Kontrolleur der Kolonialregierung entspricht der Wedono, dem
Gouverneur der einheimische Landverweser. Was immer passiert, wir sind beide
zuständig.«
Ameya lehnte sich im Sessel zurück und blies nachdenklich den
süÃlich duftenden Rauch seiner Zigarette durchs Büro. Als er sprach, klang
seine Stimme weich und angenehm. Sein fehlerloses Deutsch hatte einen melodischen
Akzent. »Da es sich bei dem Herrn hier und den beiden Damen um persönliche
Bekannte von Ihnen handelt, Dr. Bessemer, wäre es vielleicht ratsam, wenn wir
uns an Ort und Stelle umsehen.«
Lennert war überglücklich, dass der Wedono diesen Vorschlag gemacht
hatte, den er selbst nicht zu machen gewagt hatte. Es wäre ihm doch sehr
aufdringlich erschienen, den Amtmann so rundheraus um seine Hilfe zu bitten.
SchlieÃlich war der Reisegefährte ihnen zu nichts verpflichtet.
Dr. Bessemer stimmte bereitwillig zu. »Ich hatte schon daran
gedacht, Ihnen und den beiden Damen meinerseits einen Kurzbesuch abzustatten«,
sagte er. »Aber dann dachte ich, Sie würden in den ersten Tagen alle viel zu
beschäftigt sein. Was das für eine seltsame Geschichte ist mit dem Waisenhaus!
Ich erinnere mich gut, dass es vor zwei Jahren Typhusendemien gab â die
Krankheit flackerte da und dort auf und erlosch rasch wieder. Tragisch, dass so
viele Kinder starben.«
Er schlug vor, erst einmal zu Mittag zu essen, was Lennert, der
groÃen Hunger hatte, sehr angenehm war.
Man begab sich in eine Kantine des Regierungsgebäudes, einen hohen,
luftigen Raum, in dem es nur so wimmelte von holländischen und einheimischen
Beamten. Was das Essen anging, waren die beiden Kulturen hier weitgehend
verschmolzen, mit dem einzigen Unterschied, dass die Holländer viel Genever
tranken, während die vom Islam geprägten Javaner sich an Wasser und Tee
hielten. Serviert wurde eine Art Rijstafel, jenes beliebte holländische
Gericht, das aus einer groÃen Portion Reis und zahlreichen Schüsselchen mit
Zuspeisen besteht, sodass jeder sich nach Geschmack bedienen konnte. Lennert
war froh, dass man ihm Löffel und Gabel zugestand â auf ein Messer wurde
verzichtet, da alles mundgerecht auf den Tisch kam. Er sagte: »Ich habe in dem deutschen
Dorf Schweinebraten mit KlöÃen gegessen, und obwohl er wirklich nicht schlecht
war, muss ich sagen, im Vergleich mit dem hier wirkt unser Essen doch sehr grob
und vor allem sehr fett.«
Dr. Bessemer nickte. Das sei eine Eigenheit der Insel, sagte er. Man
gebe sich in allen Dingen Mühe, zurückhaltend und zierlich zu sein, ob es nun
das Essen war, das in vielen kleinen Portionen über den Tag hinweg gleichsam
vernascht wurde, oder der Umgang mit anderen Personen. UnmäÃiges Essen gelte
gleichermaÃen als ungehörig wie lautes Reden, Zänkereien oder gar ein Streit.
Man erweise Höhergestellten Ehrfurcht und bemühe sich sehr, niemanden zu
beleidigen.
»Achten Sie auf Ihre FüÃe«, sagte er, wobei er belehrend den
Zeigefinger hob. »Eher dürfen Sie hier
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