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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Interesse
des einheimischen Beamten erregt hatte, obwohl er sie doch kaum kannte? Er
sprach sie ja auch nicht an, sondern führte das Gespräch, wenn er sich
überhaupt daran beteiligte, auf eine recht merkwürdige Weise: Er sagte etwas zu
Dr. Bessemer, und der trug es dann weiter in die Runde. Und doch spürte Neele,
in wie vielem von dem, was er sagte, eine Botschaft an sie lag. Sie brauchte
nur genau hinzuhören.
    Ein schwaches Rufen aus dem Nebenzimmer ließ sie alle aufhorchen.
Dort war der alte Mann mithilfe einer Tasse Tee und eines Schlucks Arrak so
weit auf die Beine gekommen, dass er sich aufsetzte und wieder klare Augen
bekam. Er entschuldigte sich, dass er so viele Umstände mache, aber die Schwüle
und der Monsun machten ihm schwer zu schaffen.
    Lennert unterbrach ihn. »Schon gut, Herr Pastor, Sie brauchen sich
nicht zu entschuldigen. Legen Sie sich nur ruhig hin. Aber wenn es Ihnen
möglich ist, hätten wir gerne ein paar Auskünfte von Ihnen.«
    Paula und Neele beobachteten ihn aufmerksam, als er sich auf das
Polster zurückfallen ließ und halb die Augen schloss. »Auskünfte, ja. Wer sind
denn die beiden Herren, die zu Besuch sind? Haben Sie Freunde aus Deutschland
mitgebracht?«
    Lennert, der inzwischen ungeduldig wurde, unterbrach ihn scharf.
»Nein. Das sind keine Freunde aus Deutschland. Dr. Bessemer ist ein hiesiger
Kontrolleur, der andere sein einheimischer Kollege. Er wird die Vorgänge hier
untersuchen.«
    Â»Vorgänge? Welche Vorgänge?«, fragte der
alte Mann. Einen Augenblick lang waren seine Augen klar und scharf, und seine
dichten eisgrauen Brauen zogen sich argwöhnisch zusammen. »Es war eine schlimme
Tragödie. Typhus. In diesem Land bekommt man so leicht Fieber.«
    Lennert schüttelte den Kopf. Der Amtmann, erläuterte er, habe ihm
gesagt, dass man zwar in den sumpfigen Niederungen, auf denen die Altstadt
erbaut war, leicht von einem gefährlichen Fieber befallen werden konnte, aber
nicht hier oben in der frischen, klaren Luft der Hochebene. Allerdings, gab er
zu, war Typhus ansteckend. Wenn eine der im Haus wohnenden oder tätigen Personen
die Krankheit mitgebracht hatte, konnte sie leicht alle anderen befallen.
    Â»Waren andere Leute hier in der deutschen Siedlung auch krank? Die
Hagedorns? Oder sonst jemand?«
    Der Pastor wiederholte die Frage, offenbar ratlos, was er damit
anfangen sollte. Der Doktor sei immer wieder gekommen, sagte er, aber mehr
wüsste er nicht. »Die gelbe Fahne«, wisperte er mit erlöschender Stimme. »Die
gelbe Fahne …«
    Â»Was meint er?«, fragte Paula.
    Â»Die Pestflagge«, erklärte ihr Dr. Bessemer. »Wenn in einem Haus eine
Seuche ausbricht, müssen die Bewohner eine gelbe Flagge hissen, um zufällig
Vorüberkommende zu warnen. Sicher war das auch hier beim Ausbruch des Typhus
der Fall.«
    Paula fragte: »Sind die verstorbenen Kinder hier in der Nähe
begraben worden?«
    Eine zittrige Hand deutete zur Rückseite des Hauses und vermutlich
darüber hinaus in den Urwald, der sich bereits an den Mauern dort
festklammerte. Dann waren die Kräfte des Greises erschöpft, er murmelte hilflos
vor sich hin und zog sich die Decke über die Schultern. Es war anzunehmen, dass
sie an diesem Abend keine Auskünfte mehr von ihm bekommen würden.
    Dr. Bessemer versprach ihnen noch einmal, sich um die Sache zu
kümmern, dann stand er etwas schwerfällig auf und blickte zum Fenster. »Und
jetzt werden wir uns lieber auf den Weg machen, ich glaube, wir werden es
gerade noch bis zu dem Dorf oben an der Berghöhe schaffen, ehe das Unwetter
losbricht.«
    Die drei jungen Leute sahen, dass er recht hatte. Als sie unter die
Haustür traten, war der Himmel bleiern dunkel geworden. Ein dumpfes Grollen
rollte über den Horizont. Die Vögel flogen kreischend in den Bäumen hin und her
und suchten Schutz vor dem Regen. Die Pferde der beiden Gäste traten nervös von
einem Huf auf den anderen und schlugen mit den Schweifen, während sie schnaubend
die Köpfe zurückwarfen. Der Kutscher, der geduldig gewartet hatte, hatte einige
Mühe, sie ruhig zu halten. Sobald Dr. Bessemer und sein Begleiter eingestiegen
waren, rollte das Gefährt los – genau in dem Moment, als ein heftiger Donnerschlag
ertönte. Um ein Haar hätten die Pferde gescheut, sie drohten auszubrechen, und
nur das Geschick des Kutschers

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