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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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lange, tiefe Züge aus seiner Zigarre getan hatte,
fragte Dr. Bessemer: »Nun? Was sagen Sie zu ihr?«
    Ameya lächelte. »Ich würde es mir niemals herausnehmen, einen
anderen Menschen zu beurteilen. Aber ich weiß, dass Sie das falsch verstehen
würden, als wäre ich nur zu höflich, um sie rundherum hässlich zu nennen, also
spreche ich Deutsch und sage: Sie ist nicht eben schön, aber sie hat rosige
Wangen und freundliche Augen und macht einen klugen, bedachtsamen Eindruck.
Genügt Ihnen das?«
    Â»Ja, weil ich bei Ihnen wenigstens weiß, dass Sie es ernst meinen.
Bei allen anderen Javanern komme ich vor lauter Höflichkeit nie dahinter, was
sie mir eigentlich sagen wollen.«
    Ameya antwortete: »Höflichkeit ist besser als Aufrichtigkeit, die
nur Ärger und Streit bringt.«
    Â»Ich brauche aber Aufrichtigkeit, denn ich möchte sie fragen, ob sie
mich heiraten will.«
    Â»Da sie eine Deutsche ist, wird sie Ihnen rundheraus antworten, auch
wenn sie Ihnen damit das Herz bricht.« Dann wechselte
er abrupt das Thema. »Das ist die eine Dame, aber was ist mit der anderen? Wie
konnte ihr Mann eine so schöne und liebenswürdige Frau verstoßen?«
    Dr. Bessemer zuckte die Achseln und ließ sich darüber aus, dass
viele Ehen an der Armut scheiterten. Wenn der Ehemann nicht mehr genug
herbeischaffen konnte, um Frau und Kinder zu ernähren, war es nicht selten so,
dass er sie verließ, um wenigstens sich selber zu ernähren. Er wusste, dass
Ameya solche Äußerungen stets mit Unverständnis und Entsetzen aufnahm. Niemals
wäre auf Java eine Familie auf den Gedanken gekommen, ein Mitglied unversorgt
zu lassen. Wie arm man auch sein mochte, die Starken stützten die Schwachen,
die Jungen ernährten die Alten. Ob man seine Familienmitglieder mochte oder nicht, für jeden Javaner galt Adat, das jahrhundertealte
Gewohnheitsrecht, das alle Beziehungen regelte. Es war älter und stärker als
jede Religion, die an den Gestaden der Insel gelandet war: Ob es der Hinduismus
war, der Buddhismus, der Islam oder das Christentum, letzten Endes wurde alles
zu einer Abwandlung von Adat.
    Â»Sie ist sehr schön und sehr traurig«, sagte Ameya, und der Blick in
seinen ausdrucksvollen braunen Augen verriet, wie tief er das empfunden hatte.
»Und sie ist ganz allein.«
    Bessemer verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass sie Freunde
hatte. Freunde zählten nicht viel auf Java. Man konnte sie haben oder auch
nicht, die Lebensgrundlage war auf jeden Fall die Familie. Die aber stützte und
versorgte nicht nur, sie umklammerte den Einzelnen auch mit einem Netz von
Pflichten und Vorschriften, aus denen es unmöglich war sich zu befreien. Der
Amtmann kannte seinen Mitarbeiter gut genug, um zu wissen, dass dem das Bild
der schönen Deutschen jetzt schon ins Herz gebrannt war, aber mehr als träumen
würde er niemals dürfen. Liebe spielte hier keine Rolle. Wenn der Sohn im
heiratsfähigen Alter war, so kaufte die allmächtige Familie ihm nach eigenem
Ermessen eine Frau. Die Armen konnten sich nur eine einzige leisten, die
Wohlhabenden auch vier, damit sie für ihn kochten und putzten und Kinder zur
Welt brachten. Die Frauen hatten dabei nichts mitzureden, und auch der
Bräutigam wurde nicht viel gefragt. Auf keinen Fall würde man eine Ausländerin
akzeptieren.
    Und außerdem gab es noch einen anderen Grund, warum Ameya nie ein
Hochzeitsfest feiern würde: Seine Familie schämte sich für ihn und fürchtete
ihn, und auf keinen Fall hätten sie gewollt, dass irgendeine Frau sein
Geheimnis erfuhr. Lieber würden sie die Schande ertragen, dass einer der Männer
aus ihrem Kreis unverheiratet blieb, als dass womöglich auch noch die Ursache
dieser Schande bekannt wurde.
    Manchmal, dachte Bessemer, bin ich froh, dass ich ein alter
Junggeselle ohne familiäre Bindungen bin. »Also gefällt sie Ihnen?«, fragte er.
    Diesmal kam die Antwort sehr viel rascher als zuvor, als es um Paula
gegangen war. »Oh, ja! Sie ist wunderschön. Und sie sieht aus, als wäre sie
gütig.«
    Er kenne sie noch nicht lange, sagte Bessemer, aber er habe durchaus
auch den Eindruck gehabt, dass Neele ein gutes Mädchen sei. Nur war sie schon
auf dem Schiff voll Jammer und Angst gewesen, und alle ihre Kräfte hatten sich
auf die Hoffnung gerichtet, in dem Institut weitgehend dasselbe Leben
wiederzufinden, das sie

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