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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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gegenüber,
einen Arm nachlässig auf dem Fensterrahmen der Kutsche, den Blick zu Boden
gerichtet, als nehme er nichts um sich herum war, aber sie spürte seine
Gegenwart so deutlich, als hätte er sie in den Armen gehalten. Sie wusste
nicht, wohin sie schauen sollte vor lauter Verlegenheit. Sie fürchtete sich
davor, aufzublicken, weil es dann sein konnte, dass ihre Blicke sich trafen und
sie beide rasch wieder beiseiteblickten. Andererseits musste sie sich für sein
Geschenk bedanken, was bedeutete, dass sie heftig erröten würde, und wahrscheinlich
würde sie nicht einmal die richtigen Worte finden. Ihr graute vor der
Vorstellung, wie sie stotterte und hüstelte und dabei puterrot wurde. Hätte sie
ihm nur einen Brief geschrieben, wie sie es zuerst vorgehabt hatte! Aber dann
war sie von dem Gedanken wieder abgekommen, weil sie einen solchen Brief nicht
unter den neugierigen Augen der Frau Selders, die zugleich die Posthalterin
war, aufgeben konnte.
    Sie war froh, als sie die Kota erreichten und es so viel zu sehen
gab, dass sie den Blick tatsächlich abwandte.
    Am ersten Tag hatte sie nur einen sehr oberflächlichen Eindruck von
diesem geschäftigen Neu-Amsterdam erhalten, so völlig war sie darauf konzentriert
gewesen, das Waisenhaus zu erreichen. Jetzt stellte sie fest, dass es mit
seinem altmodischen Reiz eine hübsche Stadt war, obwohl der Verfall von allen
Seiten daran nagte. Es war allerdings heiß und stickig, und aus den Kanälen
stieg ein übel riechender Dunst auf.
    Dr. Bessemer erzählte ihnen, dass Kapitän James Cook 1771 gezwungen
gewesen war, wegen Reparaturen am Schiff Monate im Hafen von Batavia zu liegen.
Nachdem er einen beträchtlichen Teil seiner Mannschaft durch Cholera und Ruhr
verloren hatte, kam er zu der Erkenntnis, »dass in Batavia wohl mehr Menschen
durch die schlechte Luft sterben als irgendwo anders«. Seither galt die Stadt
als ein Pestloch, in dem man nicht genug Vorsichtsmaßnahmen treffen konnte. Die
Holländer, erzählte der Amtmann, die dort ihre Büros hatten, pflegten sich
schon am Morgen mit einem großen Glas Genever zu stärken, dann saßen sie den
ganzen Tag hinter geschlossenen Jalousien, um die Hitze auszusperren, und
tranken ein Glas nach dem anderen, und kaum war der Abend hereingebrochen, und
die unerträgliche Hitze wich einem milden Lüftchen, musste man schon wieder
alles verrammeln, weil die Nachtluft Fieber brachte.
    Â»Cook schrieb, kein Europäer sollte sich zu einem Aufenthalt in
Batavia drängen.« Ameya wies auf die eng nebeneinanderstehenden
Warendepots, Speicher und Wohnhäuser und bemerkte: »Das hätte er sich ersparen
können, hätte er sich umgesehen, wie man bei uns Häuser baut. Stattdessen
folgten sie den Plänen, die sie von Holland her gewohnt waren, und legten damit
hier Brutbeete für Fieber an, die in den Kanälen und der stickigen Luft in den
Gebäuden gediehen.«
    Â»Manchmal«, sagte Lennert, »muss es für Sie doch sehr befriedigend
sein, zu sehen, wie die Pläne der Kolonialisten scheiterten.«
    Â»Gewiss«, gestand Ameya ein. »Noch lieber wäre es mir, es gäbe hier
gar keine Kolonialisten, mit denen wir uns herumschlagen müssen. Aber ich bin
ein realistischer Mensch. Die Lage ist nun einmal so, und seit 1860 kann man
auch sagen, es ist nicht mehr wirklich unerträglich. Jedenfalls erscheint es
mir besser, die Situation so zu belassen, wie sie ist, anstatt mit Kühnheit und
Eifer einen Aufstand zu inszenieren und zu scheitern.«
Er zog die Zigarettenschachtel aus der Jackentasche und zündete eine der
duftenden Nelkenzigaretten an, und Neele fragte sich, ob er das tat, um
heimlich aufkeimenden Zorn zu beruhigen.
    Â»Sehen Sie«, sagte er, »es gibt hier genug Leute, die den Prinzen
Diponegoro wie einen Halbgott verehren und davon träumen, es ihm gleichzutun.
Es gibt auch genug, die mehr tun als nur zu träumen. Aber letztendlich hat sein
Aufstand das Land in Blut getaucht, und er selbst wurde wochenlang in den
nassen Kasematten des berüchtigten Stadthuis, des Rathauses, gefangen gehalten,
ehe man ihn auf eine entlegene Insel verbannte, wo er bald darauf starb. Sie
mögen mich für einen Schwächling halten, aber mir scheint, dass Friede und
Wohlstand jedem Heldentum vorzuziehen sind.«
    Lennert und die beiden jungen Frauen stimmten ihm zu.
    Sie querten eine der zierlichen eisernen

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