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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Zugbrücken und folgten
einer von Bäumen gesäumten Straße, die zwischen den hohen Häusern im Schatten
lag. Dr. Bessemer wollte ihnen das Glodok zeigen, das Chinesenviertel, das
einst außerhalb der Mauern von Alt-Batavia gelegen hatte und sich nun als
gewaltiger Fremdkörper in die Stadt schob. Neele musste daran denken, wie der
Kapitän der Meisje Mariaan ihnen verboten hatte, in
den arabischen und afrikanischen Häfen von Bord zu gehen, damit sie nicht von
Sklavenhändlern verschleppt wurden, und sie fragte, ob es in der Chinesenstadt
ebenso gefährlich sei.
    Dr. Bessemer schüttelte den Kopf. »Nein, nicht aus diesem Grunde.
Sie würden keine weißen Frauen entführen, weil diese ihnen hässlich erscheinen.
Langnasen nennen sie uns, und wenn in einem ihrer Theaterspiele eine ordentlich
hässliche Figur vorkommen soll, dann hat die ein weißes Gesicht und eine Nase
wie ein Hanswurst. Aber sie sind ein verstohlenes und verschlagenes Volk,
immerzu mit Geheimnissen beschäftigt und jederzeit bereit, einen verschwinden
zu lassen, der aus Zufall oder Absicht Wind von ihren Plänen bekommt. Ihre
Geheimbünde sind gefährlich und grausam. Man begegnet ihnen mit großem
Misstrauen.« Deshalb, so fuhr er fort, hatten
holländische Extremisten 1740 ein Pogrom gegen Chinesen veranstaltet und an die
tausend von ihnen niedergemetzelt, und im Grunde könnte es jederzeit wieder geschehen.
    Â»Es ist merkwürdig«, sagte er, »aber stimmt es nicht, Ameya? Die
Chinesen sind hier verhasster als die Holländer oder Portugiesen oder ein
anderes Kolonialvolk.«
    Ameya zuckte die Achseln. Die Chinesen seien fleißig und klug, sagte
er, aber geldgierig und nur an ihrem eigenen Profit interessiert. Sie würden
sich niemals assimilieren, also wäre es wohl besser, wenn sie gleich und freiwillig
gingen. Aber jetzt sei nicht der Augenblick, über Politik zu diskutieren,
wollten sie sich nicht die interessante Umgebung ansehen?
    Tatsächlich waren sie von einem Augenblick auf den anderen in eine
fremde Welt geraten. Am Wasser entlang standen dicht gedrängt kleine und oft
grellbunt bemalte Häuser. An den Hausmauern hingen lange, mit fremdartigen
Zeichen beschriebene Fahnen herab, die den Kunden den Weg zu den verschiedenen
Läden wiesen. Überall drängten sich Karren, die eigentlich kleine fliegende
Küchen darstellten, und ein atemberaubender Duft stieg aus den Töpfen darauf in
die Höhe. An allen Ecken und Enden waren Chinesen mit ihren langen,
lackschwarzen Zöpfen, blauen Kaftanen und seidenen Mützen lärmend mit Arbeiten
oder Handel beschäftigt. Die Wohnhäuser waren so eng aneinandergedrängt, dass
eines in das andere überzugehen schien, und Neele verstand, was Ameya gemeint
hatte, dass man hier sehr schnell verschwinden konnte. Man brauchte jemand nur
am Arm zu fassen und in einen der Läden hineinzuziehen, und schon wäre er oder
sie unauffindbar. Kein Wunder, sagte Dr. Bessemer, dass die Polizei sich vom
Glodok fernhielt. Ihre Hilfe beschränkte sich darauf, alle Nichtchinesen vor
dem Betreten zu warnen.
    Â»In einer Amtskutsche haben wir nichts zu befürchten«, beruhigte er
die Passagiere. »Aber alleine würde ich hier nicht gerne herumlaufen. Aber
wartet, einen Augenblick noch, und wir sehen etwas, das ihr nicht so bald
wieder vergessen werdet.«
    Die Kutsche rollte durch enge, geschäftige Straßen, vorbei an Läden,
in denen Devotionalien verkauft wurden: goldlackierte Hausaltäre, Götterfiguren
und Räucherstäbchen. Dann bog sie plötzlich in eine schmale Gasse ab, und hier
erhob sich vor ihnen ein Bauwerk, wie Neele noch nie eines gesehen hatte. Sie
wiesen den Kutscher an zu warten und traten dann in das große, überquellend
geschmückte Gebäude. Neele fand sich in einem zauberhaften rosaroten Licht, das
vom Widerschein der zahllosen Kerzen auf den kunstvoll eingelegten und geschmückten
Altären stammte. Das Auge verlor sich in all den Nischen, die vorne leuchteten
und sich im Hintergrund geheimnisvoll schimmernd verbargen.
    Der »Tempel der goldenen Tugend«, wie die Chinesen ihn nannten, war
mit einer Unzahl prächtiger Statuen gefüllt, vor denen im Halbdunkel Räucherstäbchen
brannten. Die Gestalten, die ihr aus dem Halbdunkel entgegenblickten, waren
sehr unterschiedlich. Manche sahen edel und weise aus, aber es gab auch Dämonen
mit

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