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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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gewöhnlich ziehen sich die
Raubtiere tief in den Dschungel zurück und warten, ob ihnen ein Holzfäller oder
Orchideensammler über den Weg läuft. Und Sie werden ja wohl in der Nacht
niemals in den Wald gehen, nicht wahr?«
    Â»Gott behüte!«, rief Neele. Dann sah sie
den Augenblick gekommen, sich bei ihm zu bedanken. »Da Sie eben ›Wald‹ sagten … Es war nett von Ihnen, mich nicht auszulachen, weil ich mich bei der
Begegnung im Wald so sehr vor dem Suduk fürchtete, sondern mir sogar noch Ihr
eigenes Amulett zu schenken. Ich habe ein solches Geschenk nicht verdient, aber
ich bin Ihnen zutiefst dankbar dafür. Es macht mir Mut.«
    Â»So soll es auch sein«, entgegnete er in einem Ton, der keinerlei
Emotionen erkennen ließ. Erst wunderte sich Neele darüber, dass
er auf ihren Dank gleichgültig reagierte, dann fiel ihr ein, dass ein
gesitteter Mensch in Java weder Zorn noch Kummer noch Leidenschaft erkennen
ließ.
    Sie faltete die Hände und verneigte sich, wie sie es bei den
Einheimischen gesehen hatte, wenn sie sich bedankten, und diesmal wagte es
Ameya, ihr ein Lächeln zu schenken – ein so wundervoll warmes, liebenswürdiges
Lächeln, dass ihr Herz heftig pochte.
    Bald hatte die Kutsche das Waisenhaus erreicht, und die beiden
Beamten verabschiedeten sich. Neele blickte den verschwindenden Wagenlaternen
lange nach.
    In dieser Nacht lag sie schier endlos wach. Sie hatte es noch nie
erlebt, dass ihr Herz bei dem bloßen Gedanken an einen Mann wie wild klopfte.
Das Einzige, was diesem Gefühl irgendwie nahekam, war ihre kindische
Schwärmerei für den Doktor, die sie vor vier Jahren empfunden hatte. Und jetzt?
Sie konnte nicht aufhören, an Ameya zu denken, sooft sie ihre Gedanken auch von
ihm abwenden wollte, und in der Nacht träumte sie von ihm. Aber da sie zuerst
über Raubtiere und dann über Ameya gesprochen hatten, vermischten sich die
Erinnerungen in ihrem Traum auf eine merkwürdige und beunruhigende Weise. Sie
träumte, dass sie den Dorfkrug betrat, innerlich voll Freude, weil jemand ihr
gesagt hatte, dass Ameya im Hinterzimmer auf sie warte. Aber als sie dann die
Tür öffnen wollte, wagte sie es nicht, weil ihr einfiel, dass sich in diesem
Hinterzimmer der Jaguar befand, und als etwas an der anderen Seite der Tür
kratzte, fuhr sie keuchend aus dem Schlaf hoch.

3
    A m nächsten Morgen
erschien in zwei Kutschen und einem Lastkarren die Karawane. Vor Sonnenaufgang
hatte es so heftig geregnet, dass die Deutschen gedacht hatten, das Dach stürze
über ihnen ein, aber dann hatte der Platzregen so schnell aufgehört, wie er
angefangen hatte, und nun lag das frisch gewaschene Land in hell glänzendem
Sonnenschein vor ihnen.
    Neele, die keine Klosterfrauen kannte, hatte blasse, ätherische
Wesen mit schwärmerischem Blick erwartet, aber aus den Kutschen stiegen
kräftige, bäuerliche Frauen, die Gesichter und Hände gebräunt und gedörrt von
der tropischen Sonne. Eine drahtige ältere Frau mit scharfen, durchdringenden
blauen Augen stellte sich als Schwester Florinda vor, die Leiterin der Gruppe,
die jetzt die Außenstelle beaufsichtigen würde. Die Äbtissin war mit den
anderen Schwestern und den Kindern, die sie betreuten, im Mutterhaus des Ordens
am Koningsplein geblieben.
    Jetzt stiegen auch zwölf Kinder aus, Weiße, Einheimische und
Chinesen. Die Männer, die die Kutschen gelenkt hatten, sollten als Träger,
Arbeiter und Pfleger für die Kinder dableiben. Sie machten sich sofort ans
Werk, Bettgestelle aus dem Schlafsaal im oberen Stockwerk zu holen und in der
ehemaligen Kapelle aufzustellen, damit die Kinder, die sich wegen ihrer
Kinderlähmungserkrankung alle mühsam auf Krücken dahinschleppten, nicht über
die Treppen hinaufsteigen mussten. Die Klosterschwestern zogen hinauf in den
Schlafsaal und benutzten das ehemalige Schulzimmer als ihr Bet- und Arbeitszimmer.
    Den ganzen Tag waren sie unterwegs, fuhren zum Einkaufen in die
Stadt und kehrten zurück, und als die Sonne in einem grandiosen Bogen aus
purpurnen und goldenen Federn sank, hatten sie das Haus nach ihrem Gefallen und
ihren Bedürfnissen eingerichtet.
    Der Sonnenuntergang war so schön, dass Neele, ehe sie das Gartentor
schloss, trotz ihrer Ängstlichkeit stehen blieb und über die unter den Nebeln
liegende Stadt hinwegblickte. Die Sonne hatte eine zarte Fliederfarbe angenommen,
als sie

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