Im Land der Orangenbluten
und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Das hast du gut gemacht!«
Kiri setzte sich wieder in die Runde, ihre Knie zitterten leicht.
Amru legte ihr lachend den Arm um die Schultern. »Kind, das nächste Mal solltest du aber die Augen auflassen, sonst schlägst du dir womöglich noch die eigenen Finger ab.« Alle lachten.
Jenk ließ eine Kalebasse mit einem scharfen, nach Alkohol schmeckenden Getränk herumgehen, dann erhoben sich alle. Und plötzlich tauchte Dany dicht neben ihr auf. Kiri hatte das Gefühl, als würde ihr die Luft wegbleiben.
»Bist ein ganz schön tapferes Mädchen, hm?« Er lächelte sie an, dabei trafen sich ihre Blicke. »Wir sehen uns wieder!«, flüsterte er fröhlich und verschwand mit dem anderen Mann im Unterholz, während sich Amru, Jenk und das Paar wieder in Richtung Plantage wandten.
»Kiri, nun komm, wir müssen zurück.«
Kiri erwachte wie aus einem Traum und lief eilig hinter Amru her.
Nachdem sie einige Zeit schweigend durch den Wald gelaufen waren, fand Kiri ihre Sprache wieder. »Amru?« Sie versuchte, so dicht es ging, hinter ihr aufzuschließen, die anderen sollten nicht unbedingt mithören. »Amru? Warum war denn Dany heute Nacht da?«
Amru lachte. »Irgendwo mussten wir ja das Huhn herbekommen, von der Plantage stehlen konnten wir es ja schlecht. Und das Huhn ...«, Kiri erkannte ein verschwörerisches Lächeln in Amrus Gesicht, »... du schuldest Dany jetzt was, er wird also wiederkommen und dich noch mal treffen wollen.«
Kiris Herz klopfte bis zum Hals.
Sie wiedersehen wollen! Kurz war der eigentliche Anlass des Rituals vergessen.
Kapitel 15
Erika saß betrübt im Schatten der hohen Königspalmen, die den Hafen einrahmten. Sie lauschte auf das leise Plätschern des Wassers und beobachtete einige Vögel bei dem Versuch, bei den Fischerbooten eine Beute zu ergattern. Reiner lag neben ihr in seinem Korb und schlief. Er war ein artiges Baby. Derama hatte Erika gewarnt. »Pass auf deinen Sohn auf, er ist etwas zu früh geboren, fütter ihn gut und nimm ihn viel mit nach draußen. Die Weißen schonen ihre Kinder zu viel, sie müssen gleich an das Klima gewöhnt werden, dann haben sie es später leichter. Aber nimm ihn nicht mit in die Krankenstation, das ist zu gefährlich.«
Erika befolgte den Rat der alten Medizinfrau. Sie nahm, sobald sie selbst wieder auf den Beinen war, ihren Sohn überall mit hin.
Viel gab es nicht zu tun für sie. Josefa kümmerte sich um die wenigen Patienten, und die Missionsbrüder betrauten die Sklaven mit allen anfallenden Arbeiten. Mehr als etwas herumzuspazieren und hier und da mal nach dem Rechten zu sehen, blieb Erika nicht. So hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, nachmittags, wenn die Schwüle des Tages langsam nachließ, zum Hafen zu gehen. Hier, wo immer irgendwo quirliges Treiben herrschte, fühlte sie sich Reinhard näher und konnte gut nachdenken.
In Erika schwelte der Wunsch, ihren Mann zu suchen. Sie sehnte sich so nach ihm. Sie musste ihn wiedersehen. Doch wie? Sie hatte kein Geld, sie hatte kein Auskommen, und sie hatte ein kleines Baby. Aber hier sitzen und warten? Nein, das war keine wirkliche Alternative. Nach der Geburt war sie schnell zu Kräften gekommen. Reiner war pflegeleicht und gesund. Vielleicht könnte sie es in einigen Monaten wagen. Aber das Problem mit dem Geld, wie sollte sie das lösen? Sie würde für sich allein sorgen müssen, von der Gemeine würde sie keine Zuwendung erhalten. Die Missionstätigkeit war nicht darauf ausgelegt, sich zu bereichern. Vorerst würde sie also nicht reisen können.
Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie das Boot, welches in der Nähe anlandete, erst spät bemerkte. Eine ganze Schar weißer Kinder kletterte unter lautem Geschrei auf die Mole und tobte umher. Eine behäbige große Frau, gefolgt von einer Sklavin, die ihr zudem den Sonnenschirm hielt, folgte dem Spektakel. Kurz vor der Bank, auf der Erika saß, kamen zwei der Buben ins Gerangel, der eine schubste den anderen, und bevor die Frau im Hintergrund etwas sagen konnte, stolperte der eine Junge und rutschte mit einem spitzen Schrei an den Rand der Mole, wo er sich gerade noch an einen Poller klammern konnte. Seine strampelnden Beine baumelten über dem Wasser.
Erika reagierte als Erste. Sie sprang auf, war mit einigen schnellen Schritten bei dem Jungen, packte ihn am Kragen und zog ihn wieder auf festen Boden. Das Kind rannte gleich heulend zu seiner Mutter, klammerte sich aber nicht an deren Rockschöße,
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