Im Land der Orangenbluten
sich Erika gegenüber.
»Nochmals danke, dass Sie Geert gestern gerettet haben, nicht auszudenken, wenn er ins Wasser gestürzt wäre ...«
Das Sklavenmädchen mit der gestärkten Schürze schlich herbei und brachte ein Tablett mit Tassen und einer Kanne. Als sie die eine Tasse abgestellt hatte, schlug ihr Frieda van Drag unversehens mit einer flinken Bewegung auf die Finger. Das Mädchen zuckte zusammen.
»Nicht so!«
»Ja, Misi, Entschuldigung, Misi.«
Erika konnte beim besten Willen nicht erkennen, worin die Verfehlung bestanden hatte. Das Mädchen hingegen hatte es sofort bemerkt und rückte nun die Tassen zurecht, indem sie deren Henkel auf die jeweils rechte Seite drehte.
»So ist’s besser.« Frieda schenkte ihr ein mildes Lächeln, das Mädchen knickste und sputete sich dann aus dem Raum. Erika zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. Frieda van Drag schien eine sehr korrekte Person zu sein. Sogleich kam sie im Gespräch auf die unumgängliche Frage: »Erika, erzählen Sie mir: Was machen Sie hier in Surinam, sind Sie schon lange hier?«
Erika zögerte kurz, sie hoffte, dass Frieda van Drag nicht ebenso kritisch über die Missionare dachte wie die anderen Kolonisten. Zu ihrer Erleichterung gab die Frau als Reaktion auf ihre Antwort ein wohlwollendes Nicken ab.
Eigentlich fühlte sich Erika nicht in der Position, dieser wohlhabenden Frau ebenfalls Fragen zu stellen. Eine peinliche Pause sagte ihr aber, dass es nun für sie an der Zeit war, das Gespräch zu führen. »Und Sie haben eine Plantage?« Erika versuchte sich zaghaft in Konversation.
Frieda van Drag sprang unmittelbar auf das Stichwort an. »O ja, wir haben einen großen Holzgrund am Weikabo Kreek.« Erika wusste zwar nicht genau, wo dieser Kreek lag, nickte aber verstehend.
Es folgte eine längere Ausführung über das Leben von Frieda van Drag auf Bel Avenier, so der Name der Holzplantage, was so viel wie »Gute Zukunft« bedeutete. Sie erfuhr, dass Frieda van Drag zwölf Kinder geboren hatte, wovon sie aber bereits vier zu Grabe hatte tragen müssen. Mit einem verträumten Lächeln strich sie sich über den Bauch. »In ein paar Monaten wird es noch ein Geschwisterchen geben.«
Dann folgten weitere Erzählungen über ihren Mann Ernst, Klagen über die vielen unfähigen Sklaven auf der Plantage, das Wetter und Krankheiten. Frau van Drag sprach ohne Pause, und nach einer guten Stunde schwirrte Erika der Kopf. Erst als Reiner sich in seinem Körbchen regte, stoppte Frieda van Drag ihren Redefluss. »Oh, der Kleine hat bestimmt Hunger. Leider habe ich gerade keine Amme im Haus.«
Erika erschrak. Niemals hätte sie ihr Kind einer fremden Frau an die Brust gelegt! Freundlich, aber durchaus auch froh, nutzte sie die Gelegenheit, sich zu verabschieden.
»Es war so nett mit Ihnen«, wieder tätschelte Frieda van Drag ihr die Arme, »und es würde mich so freuen, wenn Sie mich noch einmal besuchen könnten.«
In der Mission angekommen, setzte sich Erika auf einen Stuhl und atmete tief durch. Schnell legte sie sich Reiner an die Brust, der inzwischen vor Hunger ungehalten in seinem Korb schrie. Dann ließ sie das Gespräch mit Frieda van Drag nochmals durch ihren Kopf kreisen. In dieser kurzen Zeit hatte Erika mehr über das Land und das Leben der Kolonisten erfahren als in den ganzen letzten Monaten zuvor. Das Treffen hatte sie erschöpft, aber sie freute sich auch, dass sie endlich außerhalb der Krankenstation und Mission Kontakt hatte knüpfen können. Selbst wenn es anstrengend würde, beschloss sie, Frieda van Drag nochmals zu besuchen. Sie wusste, dass sie in der Mission nicht das nötige Geld verdienen konnte, um sich auf die Suche nach Reinhard zu begeben. Daher musste sie auf eine Anstellung irgendwo in der Kolonie hoffen, die dem zuträglicher war. Und alles, was sie dazu brauchte, waren Kontakte, da war Frieda van Drag ein guter Anfang.
Und so saß Erika zwei Tage später bereits wieder Frieda van Drag gegenüber und nippte Tee aus einer zarten Porzellantasse. Dieses Mal war sie vom Drumherum, den wertvollen Möbeln, den feinen Spitzendeckchen und den hübsch gekleideten Sklavenmädchen nicht mehr so abgelenkt und konnte sich besser auf das Gespräch konzentrieren. Sie hatte kurz überlegt, Reiner mitzunehmen, ihn dann aber in der Mission in Dodos Obhut gelassen, die recht gut mit ihm vertraut war und sicher einige Stunden auf ihn aufpassen konnte. Die alte Sklavin hatte eine überaus interessante Anmerkung gemacht, als Erika von
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