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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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bevor er sich durch das Schneegestöber zu seiner Kutsche begab. Der schwarze Diener folgte ihm und schloss die Tür hinter ihnen.
    Wilhelm schüttelte den Kopf. »Barfuß! Was diese Kolonisten ihren Bediensteten zumuten ...«
    Dann besann er sich auf Julie, die verlegen in der Eingangshalle stand. Er bemühte sich jetzt nicht mehr um einen höflichen Tonfall. »Wir essen um sechs, sei pünktlich!«, bellte er. Julie zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.
    Ihr Onkel übergab sie noch in der Eingangshalle in die Obhut einer Hausangestellten, die sie in eines der Gästezimmer brachte. Neugierig ließ Julie auf dem Weg dorthin ihren Blick schweifen. Wieder war sie beeindruckt von der luxuriösen Ausstattung des Hauses. Weiche Teppiche lagen auf den Böden und goldumrahmte Bilder zierten die Wände der Flure. Wie bei jedem Aufenthalt entdeckte Julie einige neue und sehr erlesene Möbel, Tante Margret schien gerne ihr Inventar zu wechseln. Das Gästezimmer stand in keinem Vergleich zu der kleinen Kammer, die Julie mit Sofia im Internat bewohnte. Hier sorgte ein großer Kachelofen für wohlige Wärme, und kleine silberne Leuchter erhellten den großen Raum.
    »Ich lasse Ihr Gepäck gleich heraufbringen. Wünschen Mejuffrouw Vandenberg noch etwas?« Das Hausmädchen knickste artig, Julie aber schüttelte nur den Kopf, was dem Mädchen wohl Aufforderung genug war, den Raum zügig zu verlassen. Julie stand eine Weile unentschlossen mitten im Zimmer, erfrischte sich dann aber und zog sich, nachdem ihr Gepäck hinaufgetragen worden war, auch um. Sie wollte der Familie nicht im zerknitterten Reisekleid entgegentreten. Alsbald klopfte das Hausmädchen wieder und führte Julie hinunter in den Speiseraum. Nun war er gekommen, der Moment, vor dem sie sich immer insgeheim am meisten fürchtete. Das erste Aufeinandertreffen.
    Tante Margret begrüßte Julie knapp und etwas kühl und musterte sie mit eingehendem Blick. »Wie schön, dass du es einrichten konntest, uns zu besuchen.« Julie hätte fast aufgelacht. Einrichten konntest – als hätte sie eine Wahl gehabt.
    Ihre Cousinen standen brav neben Tante Margret und blickten Julie ebenfalls abschätzend an. Martha war klein und hager und wirkte, obwohl sie nur unwesentlich älter war als Julie, wie eine Kopie ihrer Mutter. Sie trug ihr Haar streng nach hinten gebunden und ein Kleid mit einem steifen Kragen, welches, das hatte Julie gleich bemerkt, nicht mehr ganz der aktuellen Mode entsprach. Dorothea hingegen schien in Sachen Körperform mehr nach ihrem Vater zu schlagen: Sie war fast einen Kopf größer als ihre Mutter und ihre Schwester und hatte sehr ausladende Hüften. Sie lächelte Julie dümmlich und unbeholfen aus ihrem breiten, rotwangigen Mondgesicht an. Dorothea war zwar bei Weitem nicht so linkisch wie Martha, stand aber doch vehement unter der Fuchtel von Mutter und Schwester. Julie wurde auch mit ihr nicht warm.
    In diesem Moment polterten Onkel Wilhelm und sein Sohn aus einem Nebenzimmer herein. Wim wirkte erhitzt und beachtete Julie im ersten Moment gar nicht. »Vater – ich habe ihn eingeladen, also bitte! Du wirst mir doch nicht untersagen wollen, einen Freund einzuladen?«
    Margret herrschte ihren Sohn mit leise tadelnder Stimme an: »Wim, wir haben Besuch!«
    Jetzt bemerkte der junge Mann Julie. Unwirsch und geistesabwesend begrüßte er sie knapp, um sich
    dann wieder mit einem bösen Blick an seinen Vater zu wenden. Der hob hingegen nur kurz abwehrend
    die Hände. »Wim – später ...«
    Julie verkniff sich ein Lächeln. Wim war noch ganz der Alte.
    Jetzt saß Julie am Tisch und blickte in die Runde, bedacht darauf, dass keiner der Anwesenden merkte, wie sie insgeheim alle der Reihe nach musterte. Margret und Martha saßen kerzengerade und stocherten pikiert in ihrem Essen. Dorothea hatte den Platz neben Julie zugewiesen bekommen und ließ sich freizügig allerhand Leckereien auftischen, um sie sofort mit Genuss in sich hineinzuschieben. Wilhelm und sein Sohn diskutierten immer noch leise. Irgendwie drehte sich der Disput um die Feierlichkeiten zum Jahreswechsel, Einzelheiten konnte Julie jedoch nicht verstehen. Wim schien nicht lockerzulassen, was Wilhelm sichtlich erzürnte.
    Irgendwann wurde Margret das leise Gezänk der Männer jedoch zu viel. »Wilhelm, wenn Wim unbedingt diesen Hendrik einladen will, dann bitte ... lass ihn doch.«
    Wilhelm verstummte sogleich, und Wims Gesicht drückte Zufriedenheit aus. Dennoch konnte er sich einen kleinen

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