Im Land der Orangenbluten
Zulieferer hatte sich angekündigt, Karl Leevken aus Übersee. Angeblich hatte der Mann den weiten Weg nach Amsterdam auf sich genommen, um mit Wilhelm persönlich zu sprechen. Wilhelm dünkte nichts Gutes. In den letzten Jahren war er dazu übergegangen, die Zahlungen an seine Lieferanten zu seinen Gunsten zu kürzen. Er wähnte sich dabei in Sicherheit, schließlich befanden sich diese Leute in weiter Ferne, und selbst Briefe brauchten oft Wochen, rechtliche Forderungen sogar Monate. Außerdem lag auch die Plantagenwirtschaft zurzeit weitgehend am Boden, viele seiner Zulieferer waren sicher froh, überhaupt Geld zu erhalten. Wenn Leevken die ausstehenden Zahlungen jetzt einforderte ... wer weiß, wie viele andere seinem Beispiel folgen würden.
Aber noch war nichts verloren, und es galt, Schlimmeres zu verhindern. Wilhelm rekapitulierte noch einmal, was er von Leevken wusste: Der Mann war Besitzer einer Zuckerrohrplantage in Surinam – einer seiner größten Produzenten, und zweifellos derjenige, den Wilhelm unterm Strich um die höchste Summe betrogen hatte.
Surinam, wo lag das noch gleich? Irgendwo im Regenwald von Südamerika. Wilhelm hoffte, dass Leevken ein eher bäuerlich anmutender Charakter war, irgendein Nachfahre eines abenteuerlustigen Kolonisten, der vor vielen Jahrzehnten sein Glück in der Ferne gesucht hatte. Inzwischen unterhielten zwar viele Kaufleute aus den Niederlanden selbst Plantagen in Übersee, die sie vor Ort allerdings von einheimischen Direktoren verwalten ließen. Denn leben, leben mochte man dort nicht. Zu heiß, zu feucht, zu weit entfernt von der Zivilisation ...
Immerhin verstand Leevken, sich auszudrücken: Bezüglich der ausstehenden Zahlungen werde ich Sie im Dezember dieses Jahres persönlich aufsuchen, hatte er per Brief verlauten lassen. Es schien auf der Plantage zumindest einen halbwegs gebildeten Sekretär zu geben, immerhin. Selbst Wilhelms Anwalt hatte zur Ruhe gemahnt, man würde diesen Plantagenmenschen sicherlich mit kleineren Ausgleichszahlungen erst einmal ruhigstellen können.
Als Karl Leevken wenig später das Arbeitszimmer von Wilhelm Vandenberg betrat, verschlug es dem Unternehmer zunächst die Sprache. Vor ihm stand kein bäuerlicher Plantagenbesitzer, sondern ein akkurat und in feinsten Stoff gekleideter Mann. Wie ein dunkler Schatten folgte ihm ein hünenhafter schwarzer Bursche, der seinem Herrn Hut und Mantel abnahm, um sich dann gleich gehorsam und unauffällig neben der Tür zu platzieren, während Leevken auf Wilhelm zuschritt. Wilhelm musterte einen Moment verwirrt den schwarzen Diener, der zwar europäische Kleidung, aber keine Schuhe trug. Dann besann er sich auf seinen Gast. Er durfte jetzt keine Irritation zeigen, schließlich wollte er vor Leevken einen gestandenen Eindruck machen.
Aber schon bei der Begrüßung schlug ihm von Leevken eine Welle von Selbstbewusstsein entgegen, die Wilhelm endgültig die Ruhe raubte. Leevkens Tonfall ließ keine Zweifel aufkommen, dass dieser Mann es gewohnt war zu befehlen.
»Mijnheer Vandenberg, wie nett, Sie kennenzulernen. Setzen wir uns doch.«
Wilhelm fühlte sich kurz seiner Gastgeberrolle enthoben. Was dachte sich dieser Kerl bloß? Noch während er um seinen Schreibtisch herumging und sich wieder schwerfällig auf seinen Stuhl setzte, hatte Leevken bereits Platz genommen, sich lässig zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Wilhelm entging nicht, dass er sich kurz abschätzend im Raum umsah. Gut, dass er Leevken in seinem Arbeitszimmer im Wohnhaus empfangen hatte, welches wesentlich repräsentativer war als sein Kontor. Trotzdem fühlte er sich ungewohnt verunsichert, war aber nach Kräften bemüht, sich dies nicht anmerken zu lassen. Entschlossen hob er den Blick und musterte sein Gegenüber aufmerksam.
Leevken musste ungefähr vierzig Jahre alt sein, hatte leicht gebräunte Haut, dunkle Haare und auffallend grüne Augen. Ein stattlicher, gut aussehender Mann. Allerdings glattrasiert, nicht wie es in Europa gerade Mode war, mit Schnauzer und Kinnbart.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte Wilhelm mit fester Stimme und deutete auf die Karaffe. Ehe er sich jedoch versah, stand der schwarze Diener seines Besuchers am Tisch und schenkte das Getränk in die bereitstehenden Gläser. Leevken nickte ihm zu, und der Bursche verschwand wieder auf seinen Platz. »Bitte«, Wilhelm nickte in Richtung des Glases, bemüht, das Verhalten des Dieners nicht zu kommentieren. Aber er
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