Im Land der Orangenbluten
ausladenden Reifrocks und der seidenen Unterröcke ihre Figur. Sie hatte es vor einigen Wochen gemeinsam mit Sofia in Elburg gekauft. Eigentlich war es für ihren Geschmack etwas zu aufreizend, doch Sofia hatte ihr geschworen, dass das jetzt die neueste Mode sei und sie darin umwerfend aussah. Julie kam nicht umhin, Sofia jetzt zuzustimmen. Wenn sie sich bewegte, schien es fast, als würde sie schweben.
Vielleicht fand sich ja sogar ein Tanzpartner. Julie tanzte zwar nicht besonders gut, aber gerne. Allerdings wurde im Internat selbstverständlich immer nur als Mädchenpaar getanzt. Von einem Mann geführt zu werden war schon etwas anderes. Julie hoffte, dass die geladene Gesellschaft sich nicht nur aus älteren Geschäftspartnern und Bekannten ihres Onkels zusammensetzte. Im vergangenen Jahr hatte sie mit einem älteren Mann tanzen müssen, der sie zwar nett und freundlich behandelt hatte und glücklich schien, sie führen zu dürfen, der aber schrecklich langsam und unbeweglich gewesen war. Zudem hatte er nicht gut gerochen. Dann schon lieber Hendrik oder Wim, obwohl die beiden vermutlich nicht als gute Tänzer glänzen würden.
Sie konnte nicht verhindern, dass die hochgewachsene Gestalt des sonnengebräunten Fremden vor ihrem inneren Auge auftauchte, mit dem sie während des Dinners gesprochen hatte. Dieser Leevken aus Surinam ... leider war ihr Gespräch sehr kurz gewesen. Tante Margret hatte es missfallen, Julie so allein mit diesem Mann reden zu sehen. Schnell hatte sie ihre Nichte wieder an einen Frauentisch geleitet. Julie war im Nachhinein nicht böse darum gewesen, außer ein paar höflichen Floskeln hatte sie vor Aufregung sowieso nichts hervorbringen können. Wim hatte erwähnt, Leevken würde heute auch zugegen sein. Vielleicht tanzte er ja? Wie auch immer: Julie war fest entschlossen, sich zu amüsieren. Und wenn Leevken sie heute ansprach, würde sie nicht herumstottern wie ein unbeholfener Backfisch. Das hatte sie sich fest vorgenommen.
Eines der Hausmädchen half ihr beim Frisieren. Auch hier war Julie mit ihren langen blonden Locken durchaus begünstigt. Sie brauchte sich nicht, wie manch andere Frau, ein Haarteil anzustecken. Julie hatte sich für eine Frisur entschieden, bei der die Haare in der Mitte gescheitelt wurden. Das zum Zopf geflochtene Haar ließ sie sich am Hinterkopf mit Kämmen aus Schildplatt aufstecken. Seitlich umspielten einige lange Locken das Gesicht. Eine gewagt moderne Variation, die laut Sofias Aussage momentan der letzte Schrei war, die Tante Margret aber sicher mit scharfem Blick missbilligen würde. Julie freute sich schon auf die Gesichter ihrer Cousinen. Sie war zwar nicht besonders eitel, aber wenn es um die beiden ging, reizte es sie inzwischen auch, einmal auftrumpfen zu können. Julie wollte heute gut aussehen – ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass ihr das gelungen war. Irgendwie spürte sie, dass dieser Abend ihr Leben verändern würde.
Als sie die Treppe hinunterschritt, warteten unten Hendrik und Wim. »Mejuffrouw Vandenberg«, Wim verbeugte sich tief und nahm galant Julies Arm, »darf ich Sie zu Tisch führen?« Julie lachte herzlich.
Die Tafel war bereits gut besetzt, weitere Gäste standen noch in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Julie stockte der Atem, als sie Leevken am anderen Ende des Raumes entdeckte. Er warf ihr ein kurzes Lächeln zu. Dann bat Tante Margret zu Tisch.
Nach dem Essen verstreuten sich die Gäste in die verschiedenen Räume des Erdgeschosses. Julie betrat den großen Wintergarten im rückwärtigen Teil des Hauses, in dem eine Tanzfläche freigeräumt worden war, hier spielten Musiker dezente Tanzmusik. Sie fühlte sich wohl und entspannte sich allmählich. Das Essen war ohne Komplikationen abgelaufen, ihre Tischnachbarn waren nicht allzu langweilig gewesen, und sie hatte bereits ein Glas Champagner getrunken, der ein warmes Kribbeln in ihrem Bauch hinterlassen hatte. Was Sofia wohl gerade machte? Die de Weeks gaben heute auch einen Ball. Schnell verscheuchte Julie den Gedanken, so schlecht war es hier im Augenblick nicht.
Einen Moment verharrte Julie an einem der großen Fenster des Raumes. Im Garten hatte man Fackeln entzündet, und der Schnee auf den Büschen glitzerte märchenhaft im Schein ihres Lichts.
»Tja, Schnee und Königspalmen gibt es nur selten zusammen«, sagte eine wohlbekannte tiefe männliche Stimme hinter ihr. Julie fuhr erschrocken zusammen. Als sie sich umdrehte, schaute sie direkt in
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