Im Land der Orangenbluten
die Stimmung im Hause Leevken deutlich. Amru und Kiri waren gelöster, und auch das Verhältnis zu Martina entspannte sich weiter. Der Einzige, dessen Laune zusehends schlechter wurde, war Pieter. Karl jedoch war guter Dinge. Zu Julies Verwunderung änderte er auch sein Verhalten ihr gegenüber. Sein Ton wurde deutlich freundlicher, und an besonders guten Tagen erkundigte er sich sogar nach dem Befinden des Babys.
Eines Morgens wies er die Haussklaven sogar an, das verwaiste Kinderzimmer leerzuräumen. Als Julie aus ihrem Schlafzimmer kam, neugierig wegen der ungewohnten Betriebsamkeit in der oberen Etage des Plantagenhauses, nahm Amru bereits die letzten Vorhänge ab. »Masra Karl sagt, das Zimmer soll hergerichtet werden für das neue Baby!«
Julie war ehrlich verblüfft. Ihre Schwangerschaft schien einige dunkle Schatten aus diesem Haus zu vertreiben.
Dass dies nicht Karls Kind war, welches sie unter ihrem Herzen trug, verdrängte sie so gut es ging. Manchmal überkam sie eine tiefe Sehnsucht nach Jean, vor allem wenn Martina und Pieter in Richtung Stadt aufbrachen.
Dieses Kind durfte nur einen Vater haben, und das war Karl. Sie hatte sich lange dagegen gewehrt, aber es war die einzige Lösung. Was in ihrem Herzen geschah, spielte keine Rolle. Sie musste für das Kind stark sein, durfte sich nicht ihren Gefühlen hingeben.
Nach einigen Wochen hielt sie es jedoch nicht mehr aus. Es war inzwischen September, Julie hatte Jean fast fünf Monate nicht mehr getroffen. In ihrem Inneren brannte der Wunsch, Jean wiederzusehen, nur für einen kurzen Moment, einen Augenblick.
»Also, ich finde, dass Julie jetzt ruhig noch einmal mit uns in die Stadt kommen sollte, bald wird sie es für eine Weile nicht mehr können.« Martina sprang ihr zur Seite, sie konnte sich noch gut an die erste Zeit nach der Geburt erinnern. Julie war fest davon überzeugt, dass selbst Martina an Karls Vaterschaft glaubte. Valerie und Julie war es in der Tat gelungen, die wenigen heimlichen Treffen zwischen ihr und Jean geheim zu halten. Einerseits beruhigte Julie das, andererseits hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie und das Kind würden ein Leben lang mit dieser Lüge leben müssen.
Dieses Mal war es nicht so einfach für Julie, in der Stadt einen Moment zu arrangieren, an dem sie sich davonschleichen konnte. Martina hatte darauf bestanden, dass Julie auch bei Valerie wohnte, da Pieter auf der Plantage geblieben war. Julie war sehr unwohl bei dem Gedanken, Pieter dort zurückzulassen, aber ihre Sehnsucht nach Jean war stärker als die Bedenken.
»Ach, was willst du denn allein im Stadthaus?«, hatte Martina gesagt, und Julie hatte ihr nicht widersprechen können.
Wieder war es Valerie, die rettend einsprang und Martina und Martin an einem Nachmittag mit zu einer Kaffeetafel nahm. »Juliette, du siehst ein bisschen blass aus, vielleicht ist es besser, wenn du dich etwas ausruhst«, sagte sie bestimmt.
Dankbar nickte Julie und verschwand in ihrem Zimmer, bis es im Haus ruhig geworden war. Sie wusste, dass sie tief in der Schuld der Hausherrin stand.
Julie eilte sich, eine Mietdroschke zu finden. Sie hoffte, Jean in seiner Wohnung anzutreffen, hoffentlich war er nicht auf der Arbeit. Sie musste ihn sehen, unbedingt.
Als sie kurze Zeit später vor seinem Haus ankam, ließ ihr Gewissen sie zögern. Inzwischen war ihre Schwangerschaft unübersehbar. Was wollte sie ihm sagen? Sollte sie ihm erzählen, dass dieses Kind seines war? Oder war es besser, ihn in dem Glauben zu lassen, Karl wäre der Vater? Bevor sie sich aber über diese Frage klar werden konnte, öffnete sich die Eingangstür, und Frau Toomson streckte neugierig die Nase heraus.
»Ich ... ich wollte zu Herrn Riard. Ist er da?«, stammelte Julie.
Die Mulattin musterte Julie von oben bis unten, wobei ihr Blick ganz ungeniert einen Moment an Julies Bäuchlein hängen blieb. Dann grinste die Frau feist: »Nee, Misi, der is nicht da.«
»Wann kommt er denn wohl wieder?«
»Da werden Sie kein Glück haben Misi, der ist vor einigen Wochen weg. Das Zimmer habe ich schon neu vermietet.«
»Weg?« Julie sah die Mulattin fassungslos an. »Aber ...«
Frau Toomson zuckte nur gleichgültig mit den Achseln. »Keine Ahnung, hat seine Sachen gepackt, die letzte Miete bezahlt und ist fort.«
»Danke.« Julie drehte auf dem Absatz um und stieg wieder in die Droschke.
Er war fortgegangen. Warum? Und wohin? War er nach Europa oder nach Amerika gereist? Warum hatte er sie nichts wissen lassen?
Weitere Kostenlose Bücher