Im Land der Orangenbluten
an ihre rudimentären französischen Sprachkenntnisse aus dem Internat zu erinnern. Aber außer merci beaucoup fiel ihr nichts ein, und um sich zu bedanken, war es noch zu früh. Der Wachhabende, der hier stationiert war, kam kurze Zeit später behäbig aus seiner Hütte spaziert. Als er Julie sah, strahlten seine Augen, und er bemühte sich redlich, sie wie eine Dame zu begrüßen. Er präsentierte sich als Pierre Goudard und bedeutete bald der farbigen Frau, die er Elodie nannte, etwas zu essen zu bereiten. Wico behielt recht: Julie und ihre farbigen Begleiter kamen in den Genuss eines fast fürstlichen Mahls.
Mangels Gästezimmer musste Julie zwar wieder unter der Plane schlafen, aber mit einem gut gefüllten Magen und leicht angeheitert von dem guten Wein, den Goudard hervorgezaubert hatte, schlief sie besser als in den Nächten zuvor.
Am nächsten Morgen wurden sie überschwänglich verabschiedet, und Goudard nahm Julie das Versprechen ab, auf ihrer Rückreise wieder bei ihm Halt zu machen. Julie hatte keine Ahnung, ob sie das Versprechen halten würde, aber der Mann freute sich so sehr, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihm seinen Wunsch auszuschlagen.
Hinter dem Posten erhob sich das Land langsam zu einem bergigen Gelände. Wobei die Berge als solche nicht zu erkennen waren, das Grün des Regenwalds hob und senkte sich in der Ferne, und es gab zunehmend unwegsame Stromschnellen im Fluss. Der Wasserweg wurde ungemütlicher, und als die ersten größeren Wasserfälle auftauchten, mussten alle das Boot verlassen. Die Männer banden sich das wenige Gepäck auf den Rücken, stemmten dann das Boot über ihre Köpfe und trugen es auf verwucherten Pfaden um das Hindernis im Wasser he rum. Julie lief hinter ihnen her, ständig bemüht, nicht zu stolpern oder gar zu stürzen. Die scharfkantigen Blätter der bodennahen Gewächse zerkratzten ihr schmerzhaft die Arme, während sie versuchte, ihr Gesicht so gut als möglich zu schützen. Trotz der Strapazen konnte Julie kaum den Blick von der üppigen Pracht abwenden, in die sie nun eintauchte. Unzählige Orchideen säumten den Trampelpfad. Stieß man versehentlich eine der Blütentrauben an, flatterten verschreckt Hunderte von winzigen, ebenso bunten Schmetterlingen empor und tauchten die Eindringlinge einen kurzen Moment in eine farbenfrohe Wolke. Der schwere, süßliche Duft der Pflanzen umhüllte Julie und machte ihr das Atmen schwer.
Der Weg war mühsam und kräftezehrend. Julie war diese Art von Bewegung nicht gewohnt und Wico dankbar für den Hinweis der Anschaffung der Stiefel. Ohne diese wäre es ihr nicht möglich gewesen, das unwegsame Gelände zu beschreiten. Trotzdem kamen sie nur langsam voran. Als sie endlich wieder das Boot besteigen konnten, fühlten sich Julies Beine bleischwer an und schmerzten.
Sie wurden auf ihrem Weg zudem zwei Mal von Buschnegerposten angehalten. Die Männer diskutierten lange und gestenreich, Julie verstand größtenteils nicht, worum es ging. Nach der Übergabe diverser Schnapsflaschen und einiger Münzen ließen die Buschneger sie aber weiterreisen. Julie staunte einmal mehr über Wicos Fähigkeiten, er schien wirklich an alles gedacht zu haben. Es war ihr allerdings nicht entgangen, dass er jedes Mal, wenn sie die Buschneger hinter sich ließen, erleichtert seufzte.
»Kann es mit diesen Leuten Probleme geben?«, fragte sie nach der zweiten Begegnung zögerlich.
Wico zuckte mit den Achseln. »Es kann sein, dass sie einen nicht weiterfahren lassen, weil sie erst ihren kapten befragen wollen, und wenn man Pech hat, will der wiederum erst den granman befragen.« Als er Julies verständnislosen Blick sah, setzte er zu einer Erklärung an: »Bei den Buschnegern gibt es einzelne Familien, die sogenannten osos. Diese wiederum fügen sich zusammen zu bee’s , wobei die Mitglieder eines bee’s angeblich immer dieselbe afrikanische Stammmutter haben.« In seiner Stimme schwang eine gewisse Bewunderung mit.
»Ist das denn etwas Besonderes?«, fragte Julie neugierig.
Wico senkte den Blick. »Na ja, diese Leuten wissen wenigstens, wo sie herkommen.« Julie spürte, wie sehr ihn dieser Satz bewegte. Er schwieg kurz, bevor er seine Erläuterungen mit fester Stimme fortsetzte: »Die bee’s schließen sich wiederum zu einem loh zusammen, alle Mitglieder des loh haben auch immer eine gemeinsame Geschichte, z. B. sind sie mit demselben Schiff nach Surinam gekommen oder stammen von derselben Plantage. Sie leben heute dann wiederum in
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