Im Land der Orangenbluten
bringen zu lassen.
»Ach«, ihr Onkel machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich hätte es besser gar nicht erwähnen sollen. Dieser unverfrorene Kerl, ich weiß sowieso nicht, was er sich dabei denkt. Als ob wir dich an den Nächstbesten verheiraten würden.«
»Wer denn, um Himmels willen?«, rief Julie. »Onkel, ich möchte es jetzt wissen!«
»Na, dieser Leevken. Die haben ein komisches Heiratsgebaren da in diesen Kolonien. Kommt hier rein und ...«
»Karl Leevken hat ... um meine Hand angehalten?« Julie schoss das Blut ins Gesicht.
»Ich habe ihm gleich gesagt, dass so eine Verbindung für uns nicht in Frage kommt. Dieser viel ältere Mann und dann noch dieses wilde Land.«
Hinter Julies Stirn arbeitete es fieberhaft. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augen. War das jetzt der Strohhalm, an den sie sich klammern sollte? Die Heirat mit einem fast Fremden?
Wilhelm gab ihr anscheinend gerne einen Moment, darüber genauer nachzudenken, und gönnte sich einen Schluck Whisky. Dann holte er tief Luft und fuhr fort: »Ich habe ihm gesagt, dass du zunächst in einer Diakonissenanstalt leben wirst. Sollte er längerfristig immer noch Interesse an dir haben, was bei der Entfernung ja nicht zu erwarten ist ... also, ich denke, das hat sich damit erledigt.«
Jetzt war es an ihr. Leevken war immer noch besser als einer dieser älteren Herren mit schlechten Zähnen und dickem Bauch, von der Schwesterntracht ganz zu schweigen.
»Ich mache es!« Julies Gestalt straffte sich, als sie ihre Entscheidung kundtat. »Ich werde Karl Leevken heiraten.«
»Aber Juliette! Nein ... das geht doch nicht! Du müsstest mit ihm nach Surinam gehen und ...«
»Wenn er um meine Hand angehalten hat«, sie sprach jetzt mit fester Stimme, »werde ich Ja sagen. Ich werde Karl Leevken heiraten und mit ihm nach Surinam gehen.«
Julie starrte in den Spiegel und zupfte sich einige Haarsträhnen zurecht. Was hatte sie getan? Nun war es also offiziell.
Aber in ein Kloster stecken ... Sie konnte es immer noch nicht fassen. Da wäre ihr ja alles lieber gewesen. Und eine Hochzeit war nicht die schlechteste Alternative. Wenn sie auch etwas überstürzt stattfand. Im Grunde kannte sie Karl Leevken schließlich gar nicht. Aber jedes Mal, wenn sie an die Silvesternacht zurückdachte, überkam sie ein wohliger Schauer. Sicherlich war er in gewisser Weise unschicklich vorgegangen. Aber seine Lippen ... Julie legte ihre Finger an den Mund. Sie meinte immer noch, seinen Atem auf ihren Wangen zu spüren.
Nein, die Verlobung mit Leevken war die richtige Entscheidung! Schon, um sich aus den Fängen von Onkel Wilhelm zu befreien. Wer weiß, was er sich sonst noch hätte einfallen lassen. Entweder die Schwesterntracht oder gar später irgendwann einen dieser blassen, langweiligen Männer. So hatte Julie wenigstens ein klein wenig das Gefühl, selbst entschieden zu haben.
Sie hatte weder von ihrem Onkel noch von ihrer Tante jemals so etwas wie Zuneigung verspürt. Karl Leevken dagegen mochte sie, sonst hätte er sie wohl kaum geküsst an jenem Abend. Und er sah gut aus, war gebildet und schien auch recht vermögend zu sein, was konnte ihr also Besseres passieren? Dazu noch ein fremdes, aufregendes Land. Gut, er könnte ihr Vater sein, aber ...
So eine Chance bekommst du nur ein Mal! Der Gedanke war Julie bereits in Wilhelms Arbeitszimmer durch den Kopf geschossen, und jetzt setzte er sich in ihrem Kopf fest.
Aber sie würde nicht in das Internat zurückkehren. Wehmütig dachte sie an Sofia. Andererseits würde auch die Freundin im kommenden Sommer die Schule verlassen. Ihre Wege würden sich also zwangsläufig trennen. Aber sie konnte ihr schreiben ...
Und gleich würde nun Karl eintreffen! Margret hatte sofort zu einem Abendessen geladen, um alles Weitere zu besprechen. Sie schien erstaunlich froh über die Verlobung, wahrscheinlich freute sie sich, Julie bald los zu sein. Martha und Dorothea hatten dagegen entsetzte Gesichter gemacht. »Du kannst doch nicht mit einem fremden Mann in ein Land voller ... voller Neger gehen?« Für ihre Cousinen war es offenbar unvorstellbar, sich freiwillig aus dem sicheren Nest der Heimat fortzubewegen. Für sie galt es, brav hier zu sitzen, Kinder zu bekommen und sich den Mund fusselig zu reden beim Klatsch mit ähnlich langweiligen Damen. Wahrscheinlich würden sie als Alternative eher noch das Kloster wählen.
Julie dagegen sah sich schon in der üppigen, tropischen Pracht der fernen Kolonie. Das roch doch
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