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Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
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nächtlichen Alkoholfahnen trugen nicht gerade zu Julies Wohlbefinden bei. Seine Küsse, die ihr zum Jahreswechsel noch den Atem geraubt hatten, lösten jetzt eher Würgereiz in ihr aus. Trotzdem verzichtete Karl nicht auf den ehelichen Beischlaf. Julie wagte nicht, sich zu widersetzen.
    Aber dann entfernte sich die Zeelust vom europäischen Festland auf den Atlantik, das Meer wurde ruhiger, und Julie fühlte sich endlich besser. Ihr Magen hatte sich beruhigt, und sie sehnte sich nach frischer Luft. Zum ersten Mal seit fast einer Woche machte sie sich auf, um ihren Lieblingsplatz an Deck wieder einzunehmen. Karl war wie gewohnt nicht zu sehen und hatte auch an diesem Morgen nicht nach ihrem Befinden gefragt.
    Julie stand an die Reling geklammert und sog gierig die salzige Seeluft ein, als sie eine Stimme hinter sich fragen hörte: »Na, Mädchen, Ihre erste Schiffsreise?« Eine kleine, rundliche Frau schaute sie teils belustigt, teils mitleidig an.
    Julie gab in der Tat ein erbärmliches Bild ab. Sie hatte in den letzten Tagen, wenn sie überhaupt etwas bei sich behalten konnte, nur von Wasser und Schiffszwieback gelebt. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihr Haar hatte sie nur notdürftig hochgesteckt.
    »Das Schlimmste ist jetzt geschafft«, sagte die Frau fröhlich, während sie näher trat. »Wenn man erst mal den englischen Kanal hinter sich hat, wird es besser.« Aufmunternd lächelte sie Julie zu. Julie rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. »Wilma Kooger heiße ich. Nennen Sie mich Wilma.« Die Dame hielt Julie die Hand hin. »Es freut mich, an Deck einen weiblichen Passagier gefunden zu haben. Nicht dass wir die einzigen Damen an Bord wären, aber soweit ich gehört habe, ergeht es den anderen schlimmer als Ihnen, sie sind immer noch unpässlich.«
    »Juliette Vand ... Leevken, Verzeihung. Sagen Sie Juliette zu mir.«
    Wilma nickte verständnisvoll. »Leevken, hm? Frisch verheiratet, Mädchen? Ja, ich habe damals auch lange gebraucht, um mich an meinen neuen Namen zu gewöhnen.« Sie trat zu Julie an die Reling. »Ihr Mann ist auch auf dem Schiff?« Die Frage war vermutlich freundlich gemeint. Welche junge Frau würde eine solche Reise allein antreten?
    Julie nickte. »Ja.«
    »Treibt sich bei den anderen Männern rum, was?« Julie zuckte die Achseln. Viele Alternativen gab es nicht. »Männer!« Wilma stieß ein verächtliches Prusten aus. »Mein Heinrich hat es damals nicht anders gehalten, auch wenn wir nur selten reisten. Aber wenn, dann habe ich ihn immer wochenlang nicht zu Gesicht bekommen.« Julie traute sich nicht zu fragen, aber Wilma schien ihren Blick zu verstehen. »Mein Heinrich starb vor acht Jahren. Ich komme gerade aus Groningen, habe dort meine Schwester besucht. Sie heiratete damals in die Niederlande, und jetzt geht’s ihr nicht gut.«
    »Das tut mir leid.« Julie wusste nicht recht, was sie sagen sollte.
    »Ach, Mädchen, alles halb so wild. Ich bin heilfroh, bald wieder daheim zu sein. In Europa herrscht ja immer so schreckliches Wetter. Kommen Sie, wir gehen ein Stück – es wird Ihnen guttun, sich an der Luft zu bewegen, und ich freue mich über Gesellschaft.« Mit diesen Worten wandte sich Wilma zum Gehen. Julie folgte ihr, auch sie war froh über die Abwechslung. Gemächlichen Schrittes umrundeten sie einmal das Oberdeck des Schiffes.
    Wilma war Julie gleich sympathisch. Sie hatte etwas Resolutes, Mütterliches an sich, vor allem aber war sie mitteilungsfreudig! Endlich erfuhr Julie Details über die Schiffsreise und die Zerstreuungen, denen die Damen sich währenddessen widmeten. Bei gutem Wetter pflegten sie sich zum Beispiel zur Konversation und Handarbeit hier auf dem Oberdeck zu treffen. Julie würde also nicht während der gesamten Reise allein sein.
    Wilma wusste zu berichten, dass im vorderen Bereich des Oberdecks sogar Tische und Stühle aufgestellt wurden. »Aber da die anderen Damen noch unpässlich sind, scheint der Kapitän das noch nicht veranlasst zu haben. Natürlich ist es hier nicht so luxuriös wie auf den großen Passagierschiffen, Surinam ist nun einmal kein begehrtes Ziel.« Wilma lachte kurz auf, während sie ihren Schritt verlangsamte und die schäumende Gischt hinter dem Schiff betrachtete. »Aber die Reisen sind bei Weitem schon angenehmer als früher. Da war man als Passagier ja nur unnützes Beiwerk zu den vielen Waren, die verschifft wurden.« Wilma orderte Tee bei dem Schiffsjunen, der nach ihren Wünschen fragte. »Und hol uns einen

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