Im Land der Orangenbluten
Tisch und zwei Stühle, das Wetter ist doch schön genug.« Die Luft war seit der Abfahrt bereits merklich wärmer geworden, und die Sonne ließ sich ab und an durch eine Wolkenlücke blicken.
»Nettes Bürschchen«, bemerkte Wilma, als der Junge sich eifrig daranmachte, den Damen ihren Wunsch zu erfüllen und eine Sitzgelegenheit herbeischaffte. »So, Juliette, Sie sind also frisch verheiratet? Wo haben Sie Ihren Mann denn kennengelernt?« Aus Wilmas Worten drang freundliche Neugier, während sie sich setzte.
Julie erzählte bereitwillig ihre Geschichte. Die Zweifel und den vermeintlichen Handel zwischen Karl und ihrem Onkel sie jedoch aus, auch wenn sie den Drang verspürte, sich darüber mit jemandem, zudem mit einer Frau, auszutauschen.
Wilma hob sichtlich erstaunt die Augenbrauen. »Na, da haben Sie aber nicht lange gefackelt!«
»Kennen Sie meinen Mann?«, fragte Julie etwas schüchtern. Wilma sollte nicht glauben, sie wolle sie aushorchen. Aber die Kolonie Surinam schien nicht allzu groß zu sein, möglicherweise kannte da jeder jeden.
»Leevken?« Wilma nickte. »Also kennen ist zu viel gesagt, aber gehört habe ich schon von ihm.«
»Und?«, fragte Julie. Sie wusste, dass es unerhört war, eine flüchtige und obendrein so neue Bekannte nach dem eigenen Gatten auszuhorchen. Aber die Neugier war stärker als die Vernunft. »Was sagt man über ihn?«
Wilma schien einen Moment zu überlegen. »Nun, er hat eine große Zuckerrohrplantage. Plantagenbesitzer sind Volk für sich, müssen Sie wissen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, er ist durchaus ein ... ein angesehener Mann.«
Viel mehr war nicht aus Wilma herauszuholen, weder über Karl noch über Besonderheiten dieses Landes. Julie fühlte sich unangenehm an ihr Gespräch mit der Schneiderin erinnert. Auch die hatte sich vorsichtig ausgedrückt. Zu vorsichtig für Julies Geschmack.
Beschwingt durch ihre neue Bekanntschaft verging die Zeit nun etwas schneller für Julie. Sie waren jetzt seit vierzehn Tagen unterwegs. Insgesamt waren gut zwanzig Passagiere in den Kabinen auf dem Oberdeck untergebracht. Regelmäßig traf sie an Deck auf Wilma und auch bald auf die anderen mitreisenden Frauen. Dafür zeigten sich die Männer auffallend wenig an der frischen Luft. Die Frauen missbilligten dies, unternahmen aber nichts dagegen. Eher schienen sie froh, ihre Gatten beschäftigt zu wissen.
Julie versuchte, aus den Gesprächen möglichst viel über ihre neue Heimat herauszuhören, wobei manches in ihren Ohren sehr merkwürdig klang. So beschwerten sich die Frauen überwiegend über den Mangel an Dienstboten und über deren quemlichkeit in den Niederlanden.
»Ich bin froh, wenn ich wieder daheim bin.« Laura Freiken, Tochter eines hohen Offiziers in Surinam, legte ihre Stickerei beiseite. »Ich wollte ja meine Leibsklavin mitnehmen, aber mein Vater hat sich dagegen ausgesprochen. Das Klima wäre für sie zu widrig, und auch die Umstände mit der Kleidung und den Schuhen waren ihm zu groß.«
Julie dachte kurz an Aiku, der tapfer barfuß durch den Schnee gestapft war. Sie hatte ihn seit der Abfahrt nicht gesehen und hatte keine Ahnung, wo er untergebracht war.
»Ja«, pflichtete ihr eine andere Frau bei. »Ich habe meine Hena einmal mitgenommen, nach ein paar Tagen in Schuhen konnte sie nicht mehr laufen und kränkelte die ganze Zeit. Es ist in der Tat besser, darauf zu verzichten.«
»Aber tragen sie denn in Surinam gar keine Schuhe?« Julie sah die anderen Frauen verwundert an.
»Die Sklaven dürfen keine Schuhe tragen, Kindchen.« Wilma klärte sie mit leiser Stimme auf.
»Warum nicht?«
Wilma zuckte die Achseln. »Irgendwie muss man sie ja ... nun, sie müssen sich jederzeit ihrer Stellung bewusst bleiben.«
In der nächsten Stunde erfuhr Julie noch einiges mehr über ihre künftigen Dienstboten. Sklaven durften nicht nur keine Schuhe tragen, sie durften auch kein Niederländisch sprechen oder ihrem Herrn direkt ins Gesicht schauen.
»Er mag das einfach nicht«, war also eine eher untertriebene Umschreibung Karls gewesen, als Julie ihn auf Aikus schuhlose Füße angesprochen hatte.
Julie fiel es schwer, sich den Alltag mit derart geknechteten Dienstboten vorzustellen. Und endlich wurde ihr nun auch bewusst, was Aiku von Onkel Wilhelms Personal in Amsterdam unterschied: Der Schwarze war nicht nur dienlich, er war seinem Herrn absolut ergeben. Womöglich fürchtete er sich gar vor ihm. Alles in allem verwirrten manche Informationen über ihre neue
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