Im Land der Orangenbluten
Gottes Wille nicht sein«, unterbrach Reinhard ihn.
»Nein, Bruder, ich spreche nicht vom Kampf im Sinne von Gewalt. Obwohl ...« Er hatte gezögert. »Es ist eine wirklich schwere Aufgabe dort.« Bruder Lutz hatte einen tiefen Seufzer ausgestoßen, es schien, als wäre es ihm schwergefallen, Reinhard einerseits im Gedanken der Brudergemeine zuzusprechen, andererseits aber auch seine auf Erfahrung beruhenden Bedenken nahezulegen.
Erika hatte genug gehört. Ihr hatten die Worte von Bruder Lutz große Angst eingeflößt. Sie war jung, seit einiger Zeit glücklich mit Reinhard vermählt und hatte sich ihr weiteres Leben irgendwie anders vorgestellt, als Familie mit Kindern im Schutze der Gemeine und nicht als einzelner Missionar im südamerikanischen Regenwald. Reinhard hatte die unterschwellige Warnung des Bruders geflissentlich überhört.
Er war nach wie vor begeistert von dem Gedanken, Gottes Werk in der Mission zu vollbringen. »Erika, in der Gemeine herumsitzen können wir auch noch, wenn wir alt sind«, hatte er ihr mit einem zärtlichen Lächeln beschieden. »Und ich finde es schön, wenn unsere Kinder mitten im Geschehen aufwachsen. Stell dir doch einmal vor, welch gute Vorbereitung für ihre späteren Aufgaben das ist.«
Erika hatte nachdenklich die Stirn krausgezogen.
Jetzt, als sie in ihrem Reisequartier im Innern des Schiffsbauches angekommen war, erschien ihr das Vorhaben immer noch wie ein schlechter Traum. Sie war weniger von der Abenteuerlust beseelt als von der Sorge um die Zukunft und ihr leibliches Wohl.
Ähnlich schien es Josefa Bürgerle zu gehen, die neben ihr leise vor sich hinjammerte. Die Bürgerles waren das zweite Paar, das für die Missionsreise nach Surinam auserwählt worden war. Josefa wirkte blass und eingefallen, obwohl sie kaum ein Jahrzehnt älter war als Erika. Ihr Mann ignorierte derweil ihren leisen Protest. Bruder Walter war deutlich älter als seine Frau, seine Haare waren bereits ergraut. Sein Gesicht schien zu einer mürrischen Maske erstarrt, und die wenigen Worte, die er seit dem Betreten des Schiffs an seine Frau gerichtet hatte, waren leise und scharf gewesen. Erika hatte Mitleid mit der Frau. Soweit sie mitbekommen hatte, hatten die Bürgerles bereits eine weite Anreise von einer Gemeine aus dem Süden Deutschlands hinter sich gebracht und in Amsterdam kaum Zeit zum Ausruhen gehabt.
Bruder Walter stritt sich inzwischen mit kurzen, harschen Sätzen mit einem grobschlächtigen Mann um einige löchrige Decken, die ein Matrose heruntergebracht hatte. Der wuchtige Mann schien in Anbetracht des kalten, gottgefälligen Auftretens des Bruders jedoch schnell klein beizugeben. Mit einem kurzen Nicken übergab er Josefa und Erika jeweils eine der Decken. Erika bedankte sich höflich, was aber keine Regung auf das Gesicht des Mannes brachte.
Erika verstaute das wenige Gepäck in einer der Holzkisten, die unter den Schlafstätten standen. Der Kapitän der Zeelust , der ihnen ihre Unterkunft zugewiesen hatte, sprach deutliche Worte an die Passagiere des Zwischendecks. »Auf Deck lasst ihr euch nur blicken, wenn ich es gestatte.«
Erika dachte zunächst, er spräche damit nur den Trupp Arbeiter in lumpiger Kleidung und unverkennbarer Alkoholfahne an, denen ein Teil der Hängematten zugewiesen worden war. »Holzfäller aus Deutschland«, flüsterte Reinhard ihr zu. Aber als Erika den Kapitän fragend ansah, erwiderte er nur mürrisch mit einem scharfen Blick: »Das gilt für alle aus dem Zwischendeck.«
Erika bestürmte schon jetzt das Gefühl von Platzangst. Wie sollte sie mit all diesen Menschen wochenlang hier auf engstem Raum zurechtkommen?
Sie sprach in Gedanken ein stilles Gebet und versuchte, sich zu beruhigen. Mochte der liebe Gott es erhören und ihr die Kraft geben, diese Reise zu überstehen.
Kapitel 10
Auf dem Oberdeck erging es Julie ganz ähnlich. Wims Worte hatten sie tief erschüttert, und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, dachte sie mehr darüber nach, als ihr lieb war. Wieder und wieder kam sie zu dem Schluss, dass er unrecht haben musste. Sie hatte Karl Leevken gewählt, die Verbindung hatte nichts mit ihrem Erbe zu tun. Vor ihr lag ein Leben, für das sie sich entschieden hatte, und sie mühte sich nach Kräften, sich Surinam in den hellsten Farben auszumalen. Natürlich hatte sie sich das Beisammensein mit Karl anders vorgestellt, aber auch er würde mit der Zeit lernen, behutsamer mit ihr umzugehen.
Karls und Julies Kabine war klein, aber
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