Im Land der Orangenbluten
Aussicht in Richtung Fluss als von der Veranda unten. Mit einem Nicken entließ Julie die Sklavin. »Amru, ich komme nun allein zurecht.«
Julie war zutiefst erschöpft, die Reise war sehr anstrengend gewesen. Es dauerte allerdings noch eine Weile, bis sie sich zur Ruhe begeben konnte. Zunächst brachte Amru ihr einen Krug frisches Wasser auf das Zimmer, dann erschien sie wenig später mit der kleinen, qualmenden Schale gegen die Mücken.
Erwartungsvoll blieb Amru dann neben Julie stehen. Julie wusste nicht recht, was die Sklavin jetzt noch von ihr wollte, bis diese auf Julies Kleid deutete. Schnell schüttelte Julie den Kopf. »Nein, ich ziehe mich selbst aus, du kannst gehen, Amru.«
Die Sklavin zuckte die Achseln und verließ den Raum. Julie atmete erleichtert auf. Selbst wenn es normal war in diesem Land – es wäre ihr unangenehm gewesen, sich von dieser ihr noch fremden Frau entkleiden zu lassen.
Während sie sich nun auszog und etwas erfrischte, fiel ihr Blick nachdenklich auf die Tür zum Nebenzimmer. In der Stadt war Karl nachts nicht zu ihr gekommen. Ob er hier jetzt wohl wieder ...? Ein kalter Schauder lief über ihren Rücken.
Allen Befürchtungen zum Trotz hatte Karl Julie in der Nacht nicht besucht. Insgeheim war Julie sehr froh darüber. Als sie am nächsten Morgen nach unten kam, war er bereits fort. »Masra Karl ist unterwegs zu den Feldern«, teilte Amru Julie mit, während sie ihr Kaffee einschenkte.
Nach dem Frühstück zeigte Amru Julie die Plantage. Vor dem Haus wartete neben dem Papagei vom Vorabend auch Kiri auf ihre neue Herrin. Die kleine Sklavin hatte neue Kleidung bekommen, sah aber immer noch müde und erschöpft aus. In Julie regte sich ein schlechtes Gewissen, sich gestern nach der Ankunft nicht um Kiri gesorgt zu haben. Wo mochte man sie wohl untergebracht haben? Jetzt schlich das Mädchen langsam, aber mit aufmerksamem Blick hinter den beiden erwachsenen Frauen her. Schließlich musste auch Kiri ihr neues Zuhause kennenlernen.
Von der vorderen Hausseite führte eine kleine Orangenallee um das Haus herum. Die Bäume trugen pralle Früchte und verströmten einen süßlichen Duft. Auf der Rückseite des Hauses gab es ebenfalls eine Veranda und darüber eine schmale, über eine Holztreppe erreichbare, offene Galerie – vermutlich der Sklavenzugang zum oberen Stockwerk.
Aufgrund der vielen Gebrauchsgegenstände, die auf der Veranda lagerten, schloss Julie, dass Letztere nur zu hauswirtschaftlichen Zwecken genutzt wurde. Auf einigen Matten am Boden saßen zwei Mädchen und schrubbten Töpfe. Beide begrüßten die neue Misi ehrerbietig. Julie nickte freundlich zurück.
Julie staunte über das riesige Areal hinter dem Haupthaus. Wo sich in Europa zumeist Gartenanlagen erstreckten, öffnete sich hier ein weitläufiger Wirtschaftskomplex. Von der Verandatreppe führte ein Weg schnurgerade zwischen gepflegten Beeten hindurch, die Julie fast an einen Klostergarten erinnerten. Hier standen verschiedene Pflanzen und Bäume, die voller Früchte hingen. Amru zeigte auf einzelne Pflanzen und benannte sie beim Namen: »Ananas, Mango, Banane und Orangen.« Julie konnte damit allerdings wenig anfangen. Bis auf die Orangen kannte sie die Früchte nicht. Ob sie sich das alles merken konnte? Die Auswahl erschien ihr mehr als reichlich.
Zur Linken stand ein Haus, das ein wenig wie eine Miniaturausgabe des Haupthauses wirkte. Amru erklärte Julie, dort gäbe es weitere Gästezimmer. In dem Gebäude gegenüber befand sich die Küche, aber bei gutem Wetter wurde auch die Kochstelle vor der hinteren Veranda genutzt. Direkt an die Küche schloss sich ein großer, angenehm kühler Lagerraum an, über dessen Dach ein riesiger Baum Schatten spendete. Nachdem sich Julies Augen an das schummrige Licht im Innern gewöhnt hatten, bemerkte sie, dass die Regale gut gefüllt waren.
Neben der Küche befand sich ein Stallgebäude, auf dessen Rückseite diverse Nutztiere Auslauf hatten. Julie sah ein paar Schweine, Hühner und einige andere huhnartige Vögel. Direkt im Anschluss lag der Pferdestall, in dem Karls Pferde untergebracht waren. Zwei braune Stuten dösten im Schatten einiger Büsche. Julie strich über den Zaun hinweg der einen Stute zärtlich über die weichen Nüstern. Früher, bei den Besuchen bei Sofias Familie, war sie immer gerne geritten. Sofia hatte sie, als geübte Reiterin, zwar oft getadelt: »Juliette, den Oberkörper mehr aufrichten, halt die Hände ruhiger«, aber nichtsdestotrotz hatte
Weitere Kostenlose Bücher