Im Land der Orangenbluten
es ihr Vergnügen bereitet. Ob sie hier wohl auch einmal auf ein Pferd steigen durfte? Die dicken Bäuche der Stuten ließen darauf schließen, dass sie trächtig waren. Ein Hengst war jedoch nirgends zu sehen, vermutlich hatte Karl ihn mit auf seinen Ritt genommen. Vor dem Pferdestall saß ein Schwarzer und polierte ein ledernes Kopfstück. Als er die Frauen sah, sprang er auf und zog seinen schlappen Hut.
Amru hatte bisher die Führung mit ernster Miene abgehalten, nun lächelte sie zum ersten Mal. »Misi Juliette, das ist mein Mann Jenk. Er kümmert sich um die Pferde und die andere Tiere.« Jenk war gut einen Kopf kleiner als Amru, und der kurze vertrauensvolle Blick, den er jetzt seiner Frau zuwarf, sprach von echter Zuneigung. Er begleitete sie ein Stück.
Im Stall nebenan standen, zwischen einigen kräftigen Ochsen, sechs Maultiere. Julie hatte davon gehört, dass diese Tiere sehr genügsam und leistungsfähig waren. Allerdings sahen sie im ersten Moment eher lustig aus mit ihren überdimensionalen Ohren. »Gute Tiere sind das, starke Tiere«, bestätigte Jenk.
Von den Ställen aus lagen links und rechts des Weges weitere Wirtschaftsgebäude. Julie sah eine Schreinerei, einen Bereich, in dem Fässer hergestellt wurden und einige weitere Werkstätten, deren Nutzen sich Julie nicht erschloss. Hinter diesen Gebäuden bogen sie links auf einen weiteren Weg ab und gelangten kurz darauf zur Zuckermühle. Diese stand zwar gerade still, aber Amru erklärte, bis zur nächsten Ernte würde es nicht mehr lange dauern. Die Erntezeiten schienen irgendwie mit dem Mond und den damit auftretenden Springfluten des Flusses zusammenzuhängen. Ganz konnte Julie Amrus Erklärungen nicht folgen, noch haperte es am Verständnis der Sklavensprache, außerdem hatte sie keinerlei Vorkenntnisse bezüglich der Zuckerherstellung.
Julie lugte neugierig in das große, düstere Gebäude. Darin standen verschiedene Maschinen, Fässer und große Bottiche, und es roch süßlich verbrannt.
Hinter der Zuckermühle führte ein Kreek, vom Fluss kommend, direkt bis an das Gebäude. Damit wurde die Mühle betrieben, verriet Amru Julie. Das Wasser war grünlich trüb. Einige Wasservögel flatterten erschrocken auf, als Julie ans Ufer trat, was der hinter ihr watschelnde Papagei ebenfalls mit Flügelschlagen und entenartigen Geräuschen quittierte. Julie und Kiri erschraken gleichsam, was Amru wiederum zum Lachen brachte. Julie betrachtete die Sklavin neugierig. Inzwischen fühlte sie sich wohl in ihrer Gegenwart, außerhalb des Hauses wirkte Amru weniger streng und hatte eine ruhige, herzliche Art an sich. Julie hatte Zutrauen zu der Sklavin gewonnen.
Sie folgten dem Weg zurück zum Wirtschaftshof und trafen von dort auf einige Holzhütten. Amru erzählte, dass hier die Aufseher wohnten. Julie erschrak über das wütende Hundegebell aus einer der Hütten, und auch Amru und Kiri zuckten kurz zusammen. Amru führte Julie schweigend schnell weiter zu einem großen Gebäude, das eigentlich nur aus einem Dach und stützenden Pfosten bestand, dem Gemeinschaftshaus der Sklaven.
Julie sah weder Bänke noch Tische, aber auf dem Boden lagen viele Matten. Sie hatte noch keine Vorstellung davon, wie viele Sklaven auf der Plantage arbeiteten und lebten, aber als sie hinter dem Gemeinschaftshaus durch eine Hecke schritten, wurde ihr bewusst, dass es sich um eine große Anzahl handeln musste. Hinter diesem natürlichen Sichtschutz lag ein richtiges Dorf. Unzählige Hütten standen entlang des Weges, Hühner flatterten umher, knochige Hunde lagen an Stricke gebunden vor den Hütten. Die Behausungen waren allesamt recht einfach gebaut, die Wände bestanden aus Holzgeflecht, welches zusätzlich mit großen Palmwedeln abgedeckt war, auch die Dächer schienen gänzlich aus Palmwedeln zu bestehen. An der Vorderseite gab es jeweils einen offenen Bereich mit einer Feuerstelle.
Im ganzen Dorf herrschte emsige Betriebsamkeit. Stimmen ertönten von hier und da, jemand sang, eine Frau rief nach ihrem Kind, ein Kind weinte, andere lachten. Vor einigen Hütten saßen Frauen und schrubbten Töpfe oder flochten große Körbe. Die meisten hatten ein Baby auf der Brustseite oder auf dem Rücken in einem Tuch, einige halb nackte Kinder tollten um ihre Mütter herum.
Als sie Julie sahen, verstummte das ganze Dorf. Julie erschrak vor der plötzlichen Stille, und sie überkam sofort das Gefühl zu stören. Gehorsam sprangen die Frauen auf und begrüßten die Misi mit gesenktem
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