Im Land der Orangenbluten
sie freundschaftlich.
Kiri traute ihren Ohren nicht und folgte Amru freudig auf dem Weg durch die Felder. Nach der Regenzeit wurde auch der Alltag der Sklaven wieder ruhiger. Während der Regenzeit oblag es den Feldsklaven, neben der alltäglichen Arbeit und den Erntetagen, für die Instandhaltung der Abwasserkanäle und für die Neubepflanzung der Felder zu sorgen. Was bedeutete, dass sich das Arbeitspensum trotz des schlechten Wetters verdoppelte. Jetzt im September aber wich für einige Wochen zudem die Hitze, und bis zur nächsten beschwerlichen Ernte war noch Zeit.
Auf dem stets glitschigen Boden der Zuckerrohrfelder hatte Kiri jetzt alle Mühe, nicht das Gleichgewicht und die Orientierung zu verlieren. Sie konnte nicht sagen, wie weit sie in die Felder hineingegangen waren – aber sicherlich weit genug, dass kein Weißer bemerken würde, was vor sich ging.
Amru bog plötzlich mitten in eine Wand aus mannshohem Zuckerrohr ab. Kiri hätte fast den Anschluss verloren. Die Halme schlugen hart gegen ihre nackte Haut an Armen und Beinen. Aber schon nach ein paar Schritten fand sie sich auf einem freien Feld wieder, vermutlich einem der abgeernteten. Das Zuckerrohr war hier kurzgeschlagen, es würden noch einige Wochen vergehen, bis es wieder austrieb. Der Boden des Feldes war deutlich trockener als der des Weges. In seiner Mitte loderte ein großes Feuer, um das sich die Sklaven zusammengefunden hatten. Amru zog Kiri mit zum Kreis der Sklaven und wies sie an, sich zu setzen.
Einige der Sklaven beäugten Kiri im Schein des Feuers, aber keiner machte Anstalten, sie fortzuschicken. Unter Amrus Obhut hierherzukommen, war gleichbedeutend mit Akzeptanz. Die Trommler schlugen nun schneller. Kiris Herz pochte bis zum Hals. Amrus Mann Jenk betrat den inneren Kreis, umschritt das Feuer und sprach einige Formeln, die die Geister milde stimmen sollten. Kiri verstand nicht genau, worum es ging, sie kannte zwar einige Rituale, dieses aber hatte sie noch nie erlebt – was nicht verwunderlich war, schließlich gab es unzählig viele Rituale. Und diese variierten auch noch von Plantage zu Plantage. Ihre Tante hatte ihr erklärt, dass die ersten Sklaven, die vor vielen Generationen nach Surinam kamen, auch ganz unterschiedliche Bräuche mit in das Land brachten. Diese vermischten sich dann sogar wiederum mit dem Brauchtum der Salzwassersklaven, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch aus Afrika gekommen waren. Ihre Tante hatte ihr aufgeregt erklärt, dass die Einfuhr von Sklaven zwar bereits seit langem verboten war, es aber zwischendurch immer noch Transporte gegeben hatte.
Winti – so nannten die Weißen die Kultur, die sich aus dem traditionellen Brauchtum entwickelt hatte, ohne winti dabei genau zu definieren. Die Tante hatte Kiri gewarnt, dass die Weißen diesen Begriff geprägt hatten für alles, was ihnen fremd, unheimlich und gegen ihren eigenen Glauben erschien. Die Ausübung jeglichen winti -Kultes war somit natürlich auch offiziell untersagt.
Kiri spähte gespannt auf das Feuer. Ging es hier vielleicht um einen Liebeszauber? Oder hatte jemand zur Abwehr von Krankheiten um den Beistand der Geister gebeten? Egal, Gründe für ein dansi gab es genug. Die Sklaven gingen im Allgemeinen gerne zu einem dansi , denn es bot Abwechslung zum trüben Alltag. Auch wenn die Gefahr groß war, dass ein Weißer von diesem Treiben erfuhr, was dem Schamanen, dem Sklavendoktor, Peitschenhiebe und dem Rest des Dorfes eine starke Rationierung der Lebensmittelzuteilung einbrachte. Aber der Wunsch, mit den Geistern in Kontakt zu treten, war meist so groß, dass die ganze Gemeinschaft dieses Risiko in Kauf nahm.
Nachdem der Schamane seine Runde um das Feuer beendet hatte, stimmten die Sklaven einen leisen Gesang an. Schnell begannen die Sitzenden, sich im Takt der Trommeln zu wiegen, ihre Stimmen wurden lauter. Dann traten drei Tänzer in den Kreis um das Feuer. Die drei jungen Männer waren festlich geschmückt und mit heller Pimba-Erde bemalt. Ihre schwarze Haut glänzte im Schein des Feuers, während sie sich rhythmisch zu den Klängen bewegten. Wie in Trance betrachtete Kiri die muskulösen Körper. In den letzten Monaten hatte ihr nichts fernergelegen, als jungen Männern zu gefallen. Der Verlust ihrer Heimat, die Zeit bei Bakker und dann das Leben bei der neuen Misi, all das hatte sie fast vergessen lassen, dass sie ein Mädchen war, welches sich langsam zur Frau entwickelte. Hier, am Feuer, beim Anblick der tanzenden Männer,
Weitere Kostenlose Bücher