Im Land der Orangenbluten
für sie an Bedeutung gewonnen hatte. Karl hatte ihr vor einiger Zeit ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass er Julie die Schuld dafür gab, noch keine Schwangerschaft vermelden zu können. Der Alkohol hatte ihm eines Abends die Zunge gelockert, und er hatte sie angefahren: »Ein hübsches Mädchen hab ich mir da eingefangen, bringt mir den Haushalt durcheinander und schafft es nicht mal, seinen fraulichen Pflichten nachzukommen.«
Julie war zusammengezuckt. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass Karls nächtliche Besuche nicht dazu dienten, ihr Freude zu bereiten. Es ging ihm nur um sich, das war deutlich spürbar, und natürlich wusste sie, dass er es darauf anlegte, einen Erben mit ihr zu zeugen. Seine Zudringlichkeiten waren in letzter Zeit allerdings seltener geworden, vielleicht lag es auch daran, dass sich noch keine Schwangerschaft ergeben hatte.
Bei dem Gedanken spürte Julie einen Kloß in ihrem Hals. Sie konnte sich ja selbst keinen Reim darauf machen – kamen Mann und Frau zusammen, führte das doch unweigerlich irgendwann zu Kindern, oder? Zumindest hatte sie das bis jetzt gedacht. Warum und wie es aber dazu kommen konnte, dass eben genau dies bei ihr jetzt nicht geschah, wusste sie nicht. Lag es wirklich an ihr? Bis dato hatte Julie nie an ihrer Weiblichkeit gezweifelt, sie schien doch ganz normal, oder etwa nicht? Allerdings wusste sie auch nicht recht, wie sich eine Schwangerschaft bemerkbar machte. Vor Jahren hatte Sofia einmal geäußert, dass dies wohl untrüglich durch das Ausbleiben der monatlichen Blutung angezeigt würde. Julie hatte in dieser Hinsicht aber noch keine Veränderungen bemerken können. Eine Menge Fragen brannten ihr auf der Seele, und sie hatte niemanden, den sie ins Vertrauen ziehen konnte. Sie fühlte sich unendlich einsam.
Julie schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Sklavenkinder. Solange sie sich nicht um ein eigenes Kind kümmern konnte und musste, konnte sie ihre Kraft doch gut und gerne für die Kinder der Sklaven einsetzen. Und vielleicht würde sie dadurch ja sogar Kontakt zu den anderen Sklavenfrauen bekommen.
Bereits am nächsten Tag wanderte sie wieder zum Sklavendorf. Ihr war es egal, ob die Aufseher sie sahen oder nicht. Sie hoffte, Karl ihr Engagement um die Sklavenkinder irgendwie erklären zu können, wenn es darauf ankam.
Kiri folgte ihrer Misi besorgt. Inzwischen wusste sie, dass alles, was ihre Misi tat, im Zweifelsfall auch auf sie zurückfiel. Dass die Misi sich jetzt so für die Sklavenkinder interessierte, behagte ihr nicht. Sie wusste, dass es Masra Karl missfallen würde.
Im Dorf steuerte Julie auf Mura zu. Die Sklavin war sichtlich verwundert, äußerte aber nichts gegen ihre Anwesenheit – was die Misi wünschte, hatte ohne Widerspruch zu geschehen.
Julie spürte die Verwunderung der Frau und lächelte ihr freundlich zu. Sie verzichtete allerdings auf eine Erklärung und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die Kinder. Sie wusste, dass sie das Vertrauen der Kinder erst gewinnen musste, schließlich hatten sie von ihren Eltern die Scheu gegenüber den Weißen übernommen. Noch bevor ein Sklavenkind laufen konnte, wurde ihm beigebracht, den Blick zu senken, wenn ein Weißer ihm gegenübertrat.
Die Schar verstummte schlagartig, als Julie sich wie selbstverständlich neben Mura setzte und ihr mit einem Nicken zu verstehen gab, sich nicht stören zu lassen. Mura fuhr zögerlich fort. Die heutige Unterweisung drehte sich immer noch um die Anfertigung des Flechtwerks für eine Matte. Erst als Julie das Gewerk in die Hand nahm und sich an den kunstvollen Schlingen und Schlaufen versuchte, brach das Eis. Die Kinder kicherten und lachten und versuchten mit ihren kleinen Fingerchen, Julies ungeschickten Händen die richtige Richtung zu weisen. Mura schien unsicher, ob sie ihre Schützlinge zurückhalten sollte oder ob Julie ihre zunehmende Aufdringlichkeit dulden würde. Anfänglich tadelte sie die Kinder noch, wenn sie Julie zu nahe kamen. Julie aber lächelte der Sklavin immer wieder aufmunternd zu und zog sogar eines der kleinen Mädchen auf den Schoß. Sie hatte keine Berührungsängste den Kindern gegenüber und hoffte, dass die Kinder und auch Mura ihr gegenüber die Scheu gänzlich verlieren würden.
Lange saßen sie so beisammen und flochten, während die Matte Zentimeter für Zentimeter an Länge gewann. Erst als am Nachmittag die ersten Feldsklaven in das Dorf heimkehrten und die Kinder nach und nach in
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