Im Land der Regenbogenschlange
sich Kelly für seinen Endkampf mit der Polizei hat schmieden lassen. Hinter Glas hängt sie, von allen Seiten beleuchtet. Eine Schulklasse mit Kindern sitzt gerade vor dem Altar, und eine Lehrerin erklärt den geschichtlichen Hintergrund. Und ich bin Zeuge einer wunderbaren Szene, denn irgendwann fragt Miss Joleen die Jungen und Mädchen, wer denn gern ein Leben wie Kelly führen würde. Und ohne eine einzige Gegenstimme sausen die Arme der 10-Jährigen nach oben. Schon jetzt scheinen sie überzeugt, dass selbst ein kurzes Halunkenleben â inklusive elendem Röcheln am Strang â mehr Freuden und Intensitäten verspricht als das lange fade Dasein der Mitläufer und Braven.
Zweimal wurde der Heldenstoff verfilmt, 1970 als Machwerk mit dem Seidenhosen-Revolutionär Mick Jagger in der Hauptrolle. Sein talentfreies Gehampel vor der Kamera war so peinlich, dass er es vorzog, der Premiere fernzubleiben. Und vor einigen Jahren mit Heath Ledger, dem so begabten australischen Schauspieler, der kürzlich â »accidentally«, hieà es im offiziellen Befund â an einer Ãberdosis Antidepressiva und Schmerzmittel in New York starb. Kaum älter als Ned K.
Ins Immigration Museum . Ich bin immer fasziniert von Männern und Frauen, die alles aufgeben, um woanders â so fern woanders â neu anzufangen. Australien zu betreten war dornenreich. Einerseits verlangte die schiere GröÃe des Landes nach mehr Bewohnern, mehr als die fünf Millionen, anderseits gab es seit 1901 den Immigration Restriction Act. Damit Australien »weië bleibt, sprich, die Nicht-WeiÃen am Betreten gehindert wurden. Als effizientestes Mittel â um scheinheilig den Ruf knallharter Rassenpolitik zu vermeiden â wurde der dictation test ausgetüftelt: Man diktierte dem Neuankömmling einen Text. Nicht in seiner Muttersprache, sondern in Englisch, mindestens fünfzig Wörter lang. Und erwartete eine intelligente Zusammenfassung des Vorgelesenen. Saà man einem Inder gegenüber â in Indien wird auch Englisch gesprochen â so wählte man zum Beispiel Holländisch. Damit er garantiert durchfällt und wieder verschwindet. Bekannt wurde der Fall des tschechisch-deutschen Schriftstellers Egon Erwin Kisch, der 1934 â mit Beinbruch beim Sprung vom Schiff in Melbourne â in Australien ankam. Um Reden zu halten gegen den wachsenden Faschismus in Europa. Der Reporter war reinrassig weiÃ, trug aber einen anderen Makel mit sich herum: Marxist. Deshalb bekam er einen Absatz in scottish gaelic präsentiert, ein Gälisch, das kaum noch in Schottland bekannt ist. Kisch ging gegen das Urteil »Illegaler Einwanderer« vor Gericht â und gewann. Eher die Ausnahme, da Freunde und Genossen publizistisch Druck ausübten. Die Freundelosen kamen ins Lager oder standrechtlich aufs Schiff zurück in die (ungeliebte) Heimat. Trotzdem, der Fairness halber muss erwähnt werden: Millionen fanden auf dem Kontinent ein neues Zuhause, 1973 wurde die White Australia Policy offiziell abgeschafft.
Teile eines typischen Immigraten-Schiffes stehen in dem Museum. Es zu besichtigen ist das reinste Amüsement. Auf jeder Ãberfahrt, so ist zu erfahren, wachte eine hauptamtlich beschäftigte Matrone darüber, dass sich Unverheiratete nicht zu nahe kamen. Kann einer sich vorstellen, wie viele Extra-Schillinge die Moralstrenge als Schweigegeld in der Matronenschürze verschwinden lieÃ? Erstaunlich auch die Nachricht, dass die Schiffsgesellschaften die Passagiere zum Schreiben eines Tagebuchs anspornten. Kostenlos wurde Papier verteilt. Man hatte inzwischen begriffen, dass geschriebene Sprache sich als Therapeutikum anbot gegen den »Schmerz der Trennung« und die »Furcht vor dem Unbekannten«.
Eine nachgebaute Schiffskabine ist die Sensation, sogar der Boden wankt. Fürs einfache Volk, die Volks-Familie, gab es eine einzige Koje. Und für die ganze Massenkabine ein pit shit , ein Klo, sprich, ein rundes Loch mit einem Kübel darunter. Viele wussten zuerst nicht, welchem Zweck die Schüssel diente und benutzten sie als Nahrungsmittel-Ablage. No privacy , selbst der Abort war lediglich durch einen Vorhang verdeckt. Ausgesprochen witzig wird auf kleinen Schrifttafeln beschrieben, was hinter der Gardine vor sich ging (bei denen, die wussten, dass es sich nicht um eine Obstschale handelte): »Mit der einen Hand an der Nase, mit der anderen
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