Im Land der Regenbogenschlange
irgendwo sich festhalten, um durch das Schaukeln des Schiffes nicht abgeworfen zu werden.« Noch witziger wird die Inszenierung, da man über Lautsprecher die einschlägigen Geräusche hört, die an dem stillen (?) Ãrtchen produziert wurden. Das Furzen und Ãchzen jener, die an Verstopfung litten. Und die plumpsigen Geräusche, wenn die Hartleibigkeit ein Ende hatte. Was seltsamerweise fehlt, ist eine programmierbare Geruchsmaschine, die den Besuchern die (internationalen) Duftmarken entgegenweht. Wie auch immer, das Museum klärt auf, erzählt von den Mühseligkeiten, die der Weg in ein anderes Leben bereithielt. Und vom Mut jener, die sie auf sich nahmen.
Hier sei eine schnelle Kriegserklärung erlaubt, ein kurzer Beitrag zum Thema »Die Würde des Menschen ist antastbar«. Die Assoziation zur Gegenwart war unvermeidlich. Was man unseren Vorfahren zugemutet hat, mutet man uns noch heute zu. Mitten in den hochmodernen Zeiten sind Latrinen-Soundtrack und Stinkbomben-Berieselung bis auf Weiteres zu haben. Ich hatte sie erst gestern: Jene öffentlichen Null-Null-Kabinen, in denen man (unten) die Waden seiner beiden Nebenmänner sieht und â oben, wenn man sich nicht duckt â ihre Köpfe. Dabei gleichzeitig den verschieden lauten Tönen und verschieden penetranten Gestank-Salven aller gerade tätigen Kloschüssel-Benutzer ausgeliefert ist. (Und den anderen die eigenen liefert.) Man könnte das als eine besonders innige Form der Völkerverständigung begreifen. Oder begreift nichts und kotzt auf jene skrupellosen Narren, die ihre Mitmenschen mit solchen Einrichtungen entwürdigen.
Wir treffen uns um 16 Uhr in Armadale, einem belebten Vorort von Melbourne, im Café Alto. Die Sonne scheint und ein Mann mit weiÃem Haarkranz und freundlichem Lächeln kommt auf mich zu, Jacob G. Rosenberg. Ein Gefühl von Dankbarkeit durchströmt mich. Der Schriftsteller ist 85 Jahre und mitten in der Arbeit an einem Roman. Dass er sich dennoch Zeit nimmt für jemand ihm völlig Unbekannten, ist nur als Zeichen äuÃerster Höflichkeit zu begreifen. Einer seiner ersten Sätze verrät, was ihm half, ein so langes Leben zu bestehen. Humor. Auf die Frage nach seinem Gesundheitszustand antwortet er grinsend: »Ich bin eine wandelnde Apotheke.« Er ist neugierig, will wissen, wie ich ihn entdeckt habe. Ich rekapituliere kurz, erwähne das Interview vor Monaten mit ihm im Radio und das inzwischen gelesene Buch Sunrise West , die Kritiken. Ich bitte ihn, das mitgebrachte Exemplar zu signieren, versuche, es nicht zu sagen und sage es doch: dass ich ihn bewundere für den Lebenswillen, der ihn nicht loslieÃ. Dann halte ich den Mund, er soll reden.
1922 kommt Jacob in Baluty zur Welt, dem armseligsten Viertel in Lodz, nach Warschau die gröÃte Stadt Polens. Sein Vater ist Weber, Agnostiker und Sozialist, die Mutter Spinnerin, weniger radikal. Ein Teil des knappen Haushaltsgeldes geht in die Anschaffung von Büchern. Am siebten Tag der deutschen Invasion in Polen fällt Lodz, am 7. September 1939. Ein Ort mit groÃem jüdischem Bevölkerungsanteil. Die Nazis feiern und nennen ihre Beute ab nun Litzmannstadt. Am 12. Dezember des gleichen Jahres führen sie den gelben Judenstern ein, das Markenzeichen für die Todgeweihten. Anfang August 1944 werden die Rosenbergs deportiert, am Eingang zum Lager Birkenau (Auschwitz II) wird die fünfköpfige Familie getrennt: drei nach links und umweglos in die Gaskammer, Jacobs Schwester Pola und der 22-Jährige nach rechts. Sie wird sich 72 Stunden später, kahlgeschoren und hoff nungslos, in den Starkstrom-Stacheldraht werfen. Am 8. Mai 1945 verlässt Rosenberg das von den Amerikanern befreite Vernichtungslager Ebensee. Er will schreiben. Den Stoff hat er schon.
Irrwege durch Italien, Suche nach einem Land, das ihn aufnimmt. Mehrere Absagen, aber Australien sagt zu. In Marseille geht er an Bord eines ägyptischen Frachters, der früher Kühe und Ochsen beförderte. Eigentlich völlig harmlos, nur nicht für einen, der einst mittels Viehwagen in ein Todeslager transportiert wurde. Betritt das Schiff mit seiner Frau Esther, der er nach der Befreiung begegnet ist. Die junge Frau hat das Warschauer Getto, Maidanek, Bergen-Belsen und Dachau überlebt. Sie vereinbaren, so lange auf ein Kind zu verzichten, bis sie beide eine Umgebung gefunden haben, wo sie sich in Sicherheit fühlen.
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