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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Komödianten, die wohl über denselben IQ verfügen wie jene, die sie gerade mit Hingebung anstarren. Anders ist die Faszination nicht zu erklären. Selbst eine Kuh würde sich losreißen. Ich frage mich, was das Universum noch bieten, was die Wirklichkeit noch an Ekstasen produzieren muss, damit sich diese »modernen Nomaden«, wie sie sich pompös nennen, von der Glotze wegreißen und der Welt zuwenden.
    Vielleicht ist alles anders, vielleicht sind Schauspieler und Zuschauer nicht doof. Vielleicht wollen sie einfach doof sein. Doof sein ist leicht, viel leichter, als das Hirn in Betrieb zu nehmen. Das erinnert mich an Passagiere, die nach einem 12-Stunden-Flug in der Ankunftshalle die Rolltreppe benutzen, statt sich vor die erste Treppe zu knien, aus Dank, wieder den Leib spüren zu dürfen. Nichts würde sie physisch hindern, aber sie wollen träge sein. Dieses geistig-körperliche Versumpfen, dieses Fettwerden oben und unten, ist es das, wofür wir leben?
    Hier muss etwas Grundsätzliches geklärt werden. Denn solche Situationen, solche Pestbeulen häufen sich. Gerade auf Reisen. »Warum halten Sie nicht Ihr Lästermaul, Altmann?«, werde ich öfters gefragt, »Warum sind Sie so rabiat intolerant?«, ja, »Warum müssen Sie ununterbrochen mit dem erigierten Zeigefinger moralisieren?« Das sind befremdliche Fragen, die ich nie verstanden habe. Denn ich halte mich für radikal duldsam, offen, für bisweilen obszön liberal. Von mir aus kann sich jemand einen rosa Elefanten in die Wohnung stellen und ihn als Inkarnation letzter Weisheit anbeten. Oder sich ein Hakenkreuz in den Hintern fräsen. Oder über Facebook ein Dutzend Fotos vom letzten Weihnachtsbaum an seine 16397 »Friends« mailen. Oder sich die Hoden verkupfern. Oder über eBay Maßkrüge aus fünf Kontinenten ordern. Oder – um beim Thema zu bleiben – zehn Fernseher vor seinem Ohrenbackensessel aufstellen. Um sich aus zehn Richtungen mit Scheiße bombardieren zu lassen. Jeder ist seines Unglücks Schmied. Nur zu.
    Ich wäre, ich schwöre, der Letzte, der sie daran hindern würde. Unter der Bedingung – und das ist die Einzige –, dass ich nicht
     in die Schusslinie ihrer Abartigkeiten gerate, konkret: Ich habe mir ein Fahrkarte gekauft, um von A nach B transportiert zu werden. Ich bin friedfertig, schaue, lese, rede zeitweise halb-laut mit meinem Sitznachbarn, rieche nicht aus dem Mund, bin schmal und meist mucksmäuschenstill, sprich, ich belästige niemanden, niemand vor Ort muss unter meiner Anwesenheit leiden, erfährt dadurch Nachteile, fühlt sich beeinträchtigt. Mit keiner Geste zwinge ich dem Rest der Passagiere meine Art zu sein auf. Ganz anders die offenbar nach gnadenlos dumpfer Unterhaltung süchtige Mehrheit. Mit einem stundenlangen Kesseltreiben törichster Unterhaltung wird auf mich eingeprügelt. Ich kann nicht weghören, ich kann mich nicht schonen, ich kann nur sitzen und jaulen unter dieser Kanonade nimmermüder Verblödungsorgien.
    So einfach ist das. Wie jeder der restlichen 6,4 Milliarden habe ich meine Prioritäten, meine Vorstellungen vom Leben und wie man es einigermaßen erträglich hinter sich bringt. Und solange diese Sehnsüchte in Gefahr sind, werde ich um sie kämpfen. Und wäre es nur, indem ich die Großmeister des Schwachsinns denunziere. Moralisieren? Nein, viel dramatischer, ich kämpfe ums Überleben, mich jagt die Panik, von der weltweiten Bimboisierung erledigt zu werden, von der Weltherrschaft jener, die statt eines Kopfes eine vakuumverschweißte Luftblase mit sich herumtragen. Denn die meisten Parameter zeigen in eine Richtung: Vulgarisierung, Brutalisierung, Besudelung des menschlichen Geistes. Geht es mir dreckig, wie jetzt gerade, dann erdrückt mich die Angst, dass eine bestimmte Form des Daseins untergeht, untergehen muss. Da niedergewalzt von Blödigkeit, von Gier, von der Präpotenz wuchernder Hässlichkeit.
    Das weiß jeder. Ist das Herz verseucht von schwarzer Wut, kommt der nächste Kinnhaken. Ein junger Kerl setzt sich neben mich. Er soll mich retten, ich rede ihn sogleich an, bete, dass
     er etwas mitbringt, was unser Leben aufhellt. Aber Joon ist ein (finnisches) Schaf, das garantiert nicht für die formidablen Pisa-Ergebnisse seines Landes verantwortlich ist. Jedes Stichwort prallt an ihm ab, nicht einmal Aki Kaurismäki entlockt ihm

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