Im Land der Regenbogenschlange
wieder einen diskreten Blick auf ihn werfen. Und mein Glück nicht fassen. Hier sitzt einer, der seinen eigenen Weg sucht.
Um 19 Uhr 30 in Darwin. Ich stoppe einen nepalesischen Taxifahrer, er weià ein Haus, das noch ein freies Bett hat und weit drauÃen liegt. Die Hotels sind voll, da hier auch im Winter die Sonne glüht. Die Küstenstadt im Norden Australiens gilt als »Ferienparadies«, in dem â irgendwie passt das zusammen â »pro Quadratmeter am meisten Bier getrunken wird.« Im Vergleich zu allen anderen Quadratmetern auf der Welt.
Nachdem ich eingecheckt habe, lasse ich mir den Weg zum nächsten Fast-Food erklären, der einzige Laden in der Umgebung. Ich tapse durch eine dunkle Vorstadt, vorbei an einer Bushaltestelle mit Betrunkenen, die am Boden liegen. Ich frage nach der Richtung und die zwölf Schwarzen lallen ein Englisch, das ich nicht verstehe. Weiterirren, bis ich an einer hell erleuchteten Autowaschanlage vorbeikomme, neben der ein Chinese Takeaway steht, Modell cheap & ugly . Romantischer kann es nicht werden. Manche Städte vergisst man nie, weil man den Moment nicht vergisst, in dem man sie zum ersten Mal betrat.
Ich kaufe etwas und suche mir drauÃen in der warmen Abendluft einen diskreten Platz. Auf dem Boden, mit einer Hauswand als Rückenlehne. Und alles wird anders, wird tatsächlich romantisch. Die 44 Stunden Enge liegen hinter mir, ich habe ein Bett und etwas Warmes zu essen. Und eine Zeitung. Und entdecke einen Schriftsteller, von dem ich noch nie gehört habe. Eine Tatsache, die ich sogleich bedauere. David Malouf wird vorgestellt, ein Australier mit libanesischen Vorfahren. Ich lese die Ãberschrift des Gesprächs mit ihm und bin am Ende des Satzes geheilt von den Nervenproben der vergangenen Tage und Nächte: »Lesen hat mit Entdecken zu tun. Du entdeckst, was dein Körper schon weiÃ, aber du selbst noch nicht verstanden hast.« Das ist so wahrhaftig. Jeder mit einem Buch in der Hand ertappt sich bei dieser Erfahrung. Plötzlich kommt einer daher und sagt mir, dem Leser, wer ich bin. Mit den Worten eines Fremden dechiffriere ich mein Geheimnis.
Seltsam, ich dichte nicht, aber habe inzwischen ein halbes Tausend Gedichtbücher nach Hause getragen. Ich lese sie â abgesehen vom sinnlichen Genuss â, um Sprache zu lernen. Präziser als jede andere Form bringt mir Poesie bei, wie man keusch, sprich, sparsam mit Worten umgeht, eben die falschen Worte, das wären die entbehrlichen, links liegen lässt. Ich lese und lerne schreiben. Das neben dem Interview abgedruckte Gedicht des heute 73-Jährigen soll als Beweis dienen. Ich übernehme die Originalversion, eine Ãbersetzung würde die Anmut nur mindern. Auch wer nicht jedes Wort versteht, wird den Swing, den Zauber der Zeilen erfassen:
Revolving Days
That year I had nowhere to go, I fell in love â a mistake / of course, but it lasted and has lasted. / The old tug at the heart, the grace unasked for / urgencies / that boom under the pocket of a shirt / ... / Revolving days. My heart / in my mouth again, I'm writing this for you, wherever / you are, whoever is staring into your blue eyes. It is me / I'm still here.
An diesem Abend â zwischen shampoonierten Autos und Schnellimbiss â werde ich mit Glück überhäuft. Und zuletzt mit Gekicher ins Bett geschickt. Der Reihe nach. Ãber meinen Weltempfänger kommt ein BBC -Beitrag. Der Reporter berichtet aus dem indischen Bundesstaat Kerala und von dessen Justizminister, den die revolutionär-aberwitzige Idee überkam, den Zuchthäuslern mit »music, poetry and literature« beizukommen. In der Absicht »to bring harmony into these men and to heal the beast in them«. Und so lädt er Musiker, Dichter und Autoren in die Verliese ein. Damit die Messerstecher und Meuchelmörder dem Wunder von Harmonie und Schönheit nah kommen. Damit ihre verlorenen Seelen über den Umweg der Kunst transzendieren. »Recht sprechen« will er, sagt der Revolutionär. Besser kann man es nicht definieren. Hat doch jeder ein Recht auf die Schätze der Welt. Auch einer, der sich bisher nur mit Stechen und Meucheln zu helfen wusste.
Hinterher das Gekicher, ich blättere wieder in der Zeitung und finde mein Horoskop, jedes Wort ist die reine Wahrheit: »Gute Sterne beim Reisen. Du wirst zeitweise in die Irre gehen, aber am Ende bist du da, wo du sein wolltest. Am rechten Ort mit
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