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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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Wie passt das zusammen? O.k., erklärt er, aber eine gekaufte Frau macht keinen Stress, sie weiß ja, dass sie dafür bezahlt wurde, »for not being a bitch«, um nicht herumzuzicken.
    Der Gekränkte hat Diabetes, deshalb die gehörige Leibesfülle. Und Rückenschmerzen, sicher vom Stützen der Bauchkugel (und nicht vom Surfen, wie er fantasiert). Und einen scheußlichen Ausschlag am linken Bein. Er zeigt ihn sogleich, wie eine Trophäe, wie eine Rechtfertigung für den Entschluss, sich die restlichen Jahre nicht mehr vom Fleck zu rühren. Ich frage ihn, warum er in keinem Heim wohnt. »Bist du wahnsinnig? Dort leben viel zu viel Verrückte.«
    Irgendwann läutet es in Normans nicht ganz geruchsfreier Hose, es ist Geoffrey, sein Kumpel. »Ein Randalierer«, höre ich hinterher, wieder mal Probleme mit der Polizei gehabt. Der Anruf kam aus dem hiesigen Gefängnis. Kein besonderer Anlass, nur ein warmer Gutenachtgruß.
    Ich gehe ins Café, um Nachschub zu holen. Wie die meisten Tramps ist Norman anspruchsvoll, es muss unbedingt »Equal« sein, nur dieser Süßstoff, und davon unbedingt zwei Stück. Und den Becher nicht randvoll, please, damit die drei Döschen Milch noch Platz haben. Und die Servietten nicht vergessen! An der Theke bitte ich die Bedienung, keine Deckel auf die Becher zu drücken (meine kindischen Versuche, dem Verpackungswahn auszuweichen), darauf sie, todernst: »It's the law«. Ich lache so heftig, dass ich die Löffel fallen lasse. Bisweilen verkommt das Leben zur Realsatire. Gut, dass es Gesetzgeber gibt. Wir schlichten Menschenkinder können uns einfach nicht vorstellen, welch' Spur des Grauens zwei deckellose Plastikbecher auf ihrem sechs Meter langen Weg hinaus ins Freie ziehen können.
    Norman ist mit mir zufrieden. Auch mit dem Paar Hamburger. Wir sitzen friedlich, rauchen, dazwischen erklärt er mir die Welt, sagt nach jedem Satz: »You know what I'm saying?« Heute – und jetzt sind wir der Wirklichkeit schon näher – bekommt er eine kleine Pension und schnorrt. »Früher« war er mal Busfahrer. Früher ist immer dann, als das Schwergewicht noch leichter, beweglicher war. Früher hat er auch in alle öffentlichen Fernsprecher von Cairns gefingert, um vergessene Münzen einzusammeln. Oder Kaugummi in die Schlitze gedrückt, sodass das Kleingeld steckenblieb, die Leute verärgert einhängten und weiterhetzten. Und Norman nachrückte und mit einem speziell präparierten Stäbchen die Groschen wieder herauspulte. Oder sich, wieder nachts, vor Limonaden-Automaten aufstellte, einen dreißig Zentimeter langen Zweig hervorholte, an dem er mit Bindfaden ein 50-Centstück befestigt hatte, die Münze einwarf, die Tasten für den gewünschten Softdrink drückte und – jetzt der entscheidende Moment – blitzschnell die provisorische Angelrute wieder zurückzog. Schon purzelte die Dose nach unten. Zum Nulltarif. Durchaus verwunderlich, wie viel Energie Arbeitsscheue in Tätigkeiten investieren, die ein Taschengeld als Lohn versprechen. Ich muss los, ein letzte Frage an den Ex-Millionär. »Hast du Angst vorm Sterben?« Von wegen, Norman siegessicher: »I go to heaven, straight away!«
    Um 0 Uhr 30 fährt mein Bus, jetzt nach links, ins Landesinnere. 44 Stunden bis zum nächsten Bett, darunter viele dornenreiche Stunden. Was dem Reisenden oft Mut und Antrieb verleiht, ist seine Ignoranz. Wüsste er schon vorher, was an Gemeinheiten auf ihn wartet, er würde zögerlicher aufbrechen. Doch der Anfang ist passabel. Der Fahrer verharrt mitternachtsstill wie ein Roboter vor dem Steuer, wie auf Autopilot gestellt.
    Um 3 Uhr 30 setzt sich ein Mann neben mich, ich bin umgehend wach, schiele auf seine Seite, sehe das Ungewöhnlichste, was man um diese Zeit erwarten kann. Der Fremde zieht ein Buch heraus, schlägt es auf, schaltet die Sitzlampe ein und liest. Keine Bewegung mehr, kein Zurechtrücken, kein Blick hinaus in die Nacht, er liest wie ein Samurai. Ich weiß sofort, dass ich ihn kennenlernen muss. Aber zuerst will ich den Anblick genießen, will die Nähe eines Mannes auskosten, der etwas besitzt, das zu verschwinden droht: Die Kunst der Ausschließlichkeit, diese geradezu brutale Fähigkeit, sich auf einen Zustand zu konzentrieren. Charaktere aus Filmen und Büchern kommen mir in den Sinn. Der eiskalte Engel mit Alain Delon, Der

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