Im Land der Regenbogenschlange
Fremde von Albert Camus, Charles Bukowskis verbeulte Krater-Visage, lauter Männer, die auf dubiose Weise nie ihr Ziel aus den Augen verloren. Das Dubiose schmälerte in nichts ihre Attraktivität. Ich begriff schon damals, dass einzigartig sein in einer Gesellschaft, die per se heuchlerisch ist, nie anders funktionieren kann als über den Umweg der Heimlichkeit. Meine Helden waren die Verstohlenen, die Randfiguren, die Einzeltäter, die keinen Pfifferling gaben auf die Träume der Massen.
Ich spreche den Mann an, ich störe ihn, aber Neugier war noch nie taktvoll. Gelassen legt der Leser das Buch zur Seite und wendet sich mir zu. Heiter, ja höflich. Wir reden. Bob B. arbeitet für einen Autoverleiher. Ein Kunde lässt irgendwo den gemieteten Wagen stehen und der 67-Jährige fährt an diesen (gottverlassenen) Ort, steigt ein und fährt das Fahrzeug dorthin, wo es wieder gebraucht wird.
Wir halten, irgendwo im Outback. Ein kurzer Stopp, tanken. Und Bob steigt aus und geht auf einen Kombi zu, der in Sichtweite geparkt ist. Mit seiner schwarzen Hose, der schwarzen Lederjacke, der leichten, schwarzen Sporttasche sieht er aus wie ein Hitman, wie ein Auftragskiller. In Gangsterfilmen würde er jetzt losfahren und mit der rechten Hand die Tasche öffnen und routiniert seine Beretta CX 4 Storm zusammensetzen (von der habe ich gestern gelesen). Aber Bob streckt nur lässig den Arm aus dem Fenster und winkt, lächelt und verschwindet in der Nacht. Er muss nach Alice Springs, das ist weit.
Ich schaue verträumt hinterher und bilde mir ein, dass Bob ein Geheimnis hat, eine Wunde. Er erwähnte (weil ich drängte), dass vor zwei Jahren seine Frau gestorben war, und er Tage später den Job des Lonely Rider angenommen hat. »Ich wollte davon«, und seine Worte klangen wie aus einem Drehbuch, »um ihrer Nähe zu entfliehen.« Als ich nach dem Sinn des Satzes fragte, hielt er den Mund. Die Tote vergessen? Die Liebe zu ihr? Die schon lange abbruchreife Ehe, die endlich zu Ende war? Gut, dass Bob geschwiegen hat, das passte zu ihm. Zudem würde ich nichts verstehen. Was weià einer von der Pein des anderen. »Viele«, sagte er noch, »springen nach ein paar Monaten ab.« Die endlosen nächtlichen Kilometer machen sie mürbe, sie wollen zu Hause bleiben, nicht verlassen und allein durch dunkle Landschaften ziehen. Ich vermute, bei Bob funktioniert es umgekehrt. Die Einsamkeit heilt ihn.
Genau um zwölf Uhr mittags Rast im Roadhouse Lights on the Hill , mitten in einem brettflachen Land. Verlassener Ort, ein Set für einen Western. Der Wind treibt den Staub vor die Eingangstür, verschiedene Anzeigen hängen aus. Auf ein Rodeo wird verwiesen, jemand will eine Stute verkaufen (»she is a really outstanding show«), eine »counterhand« wird gesucht, jemand, der an der Theke zur Hand geht (sicher mit Depressions-Zuschlag). Ich frage die beiden Ladys im Shop, was hier abgeht. Nichts, »dull« ist es, fad. Aber sie sagen es wie jemand, der nie auf die Idee käme, in eine andere Landschaft aufbrechen zu wollen, in eine andere Stadt. »Dull« klingt wie o.k. Die einzige Aufregung â und die zwei müssen nachdenken â sind Kunden, die tanken und abrauschen. Ohne zu zahlen. Dann stürmen die zwei raus, notieren das Nummerschild und verständigen die Bullen. Jamie und Tina erzählen den Vorfall eher frohgemut. Bisweilen sorgt Kriminalität dafür, dass die Lebensgeister zurückkehren.
Am späten Nachmittag beginnt die Mühsal des Unterwegsseins. Es scheint, dass mit zunehmender Dunkelheit die Lautstärke der gezeigten DVD -Filme zunimmt. (Ich habe meine genialen Ohrstöpsel im Rucksack vergessen.) Tathergang: Kurz nach 17 Uhr zieht rechts ein abendlicher Himmel auf, der es mit jedem über den Highlands von Kenia aufnimmt. Vor der roten Sonne schweben ein paar schwarze Wolken, dahinter dieser strahlend gelbe Himmel. Und das Ganze über den flackernden Lichtern einer kleinen Stadt. Wir fahren nicht an der Magie vorbei, wir fahren mitten hinein. Ein Bild von unmäÃiger Schönheit. Schwache Gemüter sind imstande und fangen in solchen Augenblicken zu flennen an. Aus Rührung, aus Dankbarkeit, aus dem Gefühl heraus, gerade ein Wunder geschenkt zu bekommen.
Nun, von allgemeiner Ergriffenheit keine Spur. Denn die meisten Vorhänge sind zu, um deutlicher Sitcoms zu sehen. Situation comedies mit
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