Im Land der Regenbogenschlange
sitzen um die Roulette-Tische. Hier gilt wieder die Outback-Kleiderordnung. Fleischberge, die mit ihren halbnackten Bäuchen die gestapelten Jetons vor sich umwerfen. Kloschüssel-Millionäre, die aus ihren Hosentaschen die Bündel zerren. Dicke Mädchen, die um ihre dicken Leiber eine Birthday -Schärpe tragen. Alle erstaunlich beschäftigt: Neu setzen, Grog gurgeln, glasig SMS lesen und alle fünf Minuten zuschauen, wie die Croupiers â hier sagen sie übrigens nicht: »Rien ne va plus«, sondern in alter Cowboy-Manier: »Hands back!« â mit beiden Händen die falsch platzierten Chip-Haufen einstreichen und in einem groÃen Loch verschwinden lassen.
Der Schock wäre geringer, hätte ich nicht die vielen Bilder im Kopf. Aus James-Bond-Filmen, aus Gangster-Movies, in denen Göttinnen mit mondän lackierten Fingern auf Rot und 23/26 und 30/33 setzen. In denen Halbgötter neben ihnen sitzen und mit einem schier unsichtbaren Flickern in den Augen mit der Schönen flirten. Der Geruch von Unterwelt, von Geheimnis und Eros lag in der Luft. Hier nicht, hier riecht es nach Bier. Aber was kann die Wirklichkeit dafür, dass ich keine Ahnung von ihr habe.
Inne S. kommt, pünktlich um halb fünf. Eine winzige, eine uralte, eine blutjunge Frau mit weiÃen Haaren und einem umwerfend warmen, ironischen Lächeln. Wir wissen beide absolut nichts voneinander, aber nach drei Stunden weià ich mehr, genug jedenfalls, um mich an diese Inderin bis ans Ende meiner Tage zu erinnern. In Australien liegen Gold und Edelstein, Kohle, Eisenerz und Uran für die nächsten tausend Jahre. Und Geschichten. Sie reichen für eine kleine Ewigkeit. Sie müssen nur â wie die Bodenschätze â gehoben werden, müssen aus den dunklen, geheimnisvollen Stollen eines menschlichen Gedächtnisses ans Tageslicht. Damit andere voller Staunen und Verwunderung davon erfahren.
Wir brauchen eine Viertelstunde, um Vertrauen zu schaffen. Dass ich in Indien gelebt habe, verstärkt die Nähe. An ihren Bewegungen lässt sich erkennen, dass sie mit dem Ambiente vertraut ist. Sie sagt: »Hierher kommen die Alten, die einsam sind, nichts zu tun haben und Geld besitzen. Manche verbringen ihr Leben hier«, Pause, dann, »ich kam auch hierher, bisweilen jeden Tag.«
Läuft ein Gespräch gut, dann kommt bald der Augenblick, in dem der andere, hier der Reporter, nicht mehr antreiben muss. Der Moment ist da, Inne erzählt.
1930 in Indien geboren, als 15-Jährige heiratet sie einen 38 Jahre älteren Mann, guter Mann, mit dem sie zwei Kinder hat. Als er stirbt, ist sie 31 und arbeitet als Sekretärin in einer Druckerei in Bombay. Sie wird die Freundin von B., ihrem Arbeitgeber, der verheiratet ist. Auch er ein guter Mann. Die Verhältnisse sind klar. B. hat eine Ehefrau, hat Söhne und Töchter, ist »traditionell«, wird nie die Familie verlassen und nie Inne die Heirat antragen. Und nie wird sie ihn darum bitten. »Ich wollte kein Unglück über die andere Frau bringen.«
Sie bringt keines, sie lebt wunderbare, heimliche Jahre mit B., sie wohnen in zwei verschiedenen Häusern, gehen in den jüdischen Klub, um Rommé zu spielen, gehen aus, lieben Gesellschaft, Martini und hitzige Gespräche über den Lauf der Welt. Beide sind Christen, aber nur auf dem Taufschein.
Kurz nach ihrem 46. Geburtstag legt die Dramatik zu. Ein holländischer Geschäftsmann nimmt an einem der Essen mit Freunden teil, ein gewisser Chris K., 47 Jahre und hoch qualifizierter Ingenieur, der weltweit Projekte leitet. Die beiden werden einander vorgestellt. Nichts weiter. Scheinbar. Als K. nach Den Haag zurückkehrt, ruft er eine Bekannte an, bittet um Innes Telefonnummer. Die er nicht bekommt. K. ruft oft an, oft vergeblich. Die Bekannte hält Inne, die von K. nichts wissen will, auf dem Laufenden. Sie ist klar im Kopf, sie liebt B., sie wird geliebt, warum also dem Sirenengesang eines anderen lauschen?
Der Ingenieur muss wieder nach Bombay, wieder nimmt er an einem gemeinsamen Essen teil. Jetzt erhält er die Nummer, eher aus Versehen. Und ruft Inne an, von allen Telefonen, in deren Nähe er sich in Europa, Asien und Australien befindet. Innes Kopf bleibt klar, sie hört zu und sagt dann: »Thank you for calling.« Der Anrufer (Holländer!) fängt an, Blumen zu schicken, nein, Blumenmeere, bald versorgt die Adressatin die Nachbarschaft damit.
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