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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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künftige first couple – durchaus verstehen kann, wenn der eine oder die andere sich bisweilen nach aufregenderen Exemplaren umschaut.
    The End. Happy Ending. Damit ist die Affäre erledigt. Erstickt unter dem Gelächter der Zuschauer. Standing Ovations, bravo Australia, encore!, encore!
    Auf dem Kontinent haben sie noch andere Herausforderungen. Zurzeit rauscht die Geschichte von Clare Oliver durch den Blätterwald. Die junge Frau plagt Hautkrebs, der Lieblingskrebs im Land, die Ärzte geben ihr noch fünf (!) Tage. Aber die (fast) 26-Jährige will die Zeit nutzen, um in den letzten 120 Stunden ihres Lebens Aufmerksamkeit zu erregen. Sie lächelt in alle Kameras, lässt sich ausfragen, erklärt ihre Sucht nach Solarium-Bräune für die Krankheit verantwortlich, ruft zum Kampf dagegen auf, verweist auf ihre kommende Geburtstagsparty. Im Eilverfahren wird sie zur Vorkämpferin gegen den Solarium-Krebs gehypt. Herostrat fällt mir ein, der vor knapp 2400 Jahren den Tempel der Artemis anzündete und auf die Frage, warum er das tat, antwortete: »Ich wollte berühmt werden.« So war der Grieche das erste Blitzlichtluder. Der Tod, die Todesstrafe mögen drohen, egal, ich will ins Rampenlicht, ich will ein paar Atemzüge lang die große amorphe Masse verlassen, ich will wer sein, ich will sein.
    In derselben Zeitung steht ein Interview mit dem in Australien sehr bekannten Schauspieler Ernie Dingo. (Wim Wenders hat ihn vor Jahren für seinen Film Bis ans Ende der Welt engagiert.) Man erfährt, dass vor fünf (wieder fünf) Tagen sein jüngerer Bruder Murray bei einem Verkehrsunfall – kein Witz: auf dem Weg zu einer Beeerdigung – ums Leben kam. Und heute, fünf Tage »nach dem schrecklichen Verlust« sehen wir den Berühmten in einem feinen Restaurant sitzen und ȟber den schrecklichen Verlust« reden. Mit diesem Ausdruck im Gesicht, den sie im Englischen gemein ehrlich look-at-me-grief nennen: Schau mal, wie ergriffen ich bin. Dingo muss zwar nicht selbst sterben wie Miss Oliver, hat aber immerhin einen Bruder, der starb. Also her mit den Medien.
    Bin ich zynisch? Nein, nur wieder mal fassungslos. Die Schamfrist – das ist jene Frist, in der man unfotografiert bleibt – ist verschwunden. Ich warte auf die Technik, die uns in Echtzeit zur »tiefen Trauer« dazuschaltet: »Mister Smith, sorry, Ihr Sohn wird gerade im Irak geköpft, was sagen Sie dazu?«
    Robbie Williams hat das Thema in seinem Song Advertising Space behandelt, das Lied über jemanden, der sein Gesicht, seine Seele, sein Alles der Welt verhökert, noch auf dem Totenbett: »... there's no dignity in death/to sell the world your last breath.«
    Ich denke an die Mutter in Bagdad, höre wieder den Schrei dieses einsamen Menschen und stelle mir vor, dass die Irakerin fünf Tage später, schick gestylt für den Fototermin, im Bagdad-Café sitzt und – »I'm still under shock« – über den Sprengkörper plaudert, der über ihre drei Kinder kam. Just bad dreaming , denn sie wird nicht kommen und sie wird nicht plaudern.
    Am frühen Abend sitze ich im Dome-Coffeshop, mein Büro in Perth. Und diesmal ist kein still Tippen, diesmal zieht Feuer durch meinen Kopf. Ich werde mit einem Problem konfrontiert, das seit ein paar Jahren weltweit um sich greift und logischerweise auch in Australien ein Thema ist. Ein heißes. Relativ harmlos fängt es an. Ich lese in der Zeitung über den Besuch von Missis Wafa Sultan in Sydney. Die Syrerin, Ex-Muslimin, Ärztin und heute in den Staaten tätig, mahnt jeden, nicht zwischen moderaten und fundamentalistischen Moslems zu unterscheiden. Denn der Islam sei a priori – man müsse nur den Koran genau studieren – »evil«. Schön wär's, denkt man, wenn es nur den Islam gäbe und keinen anderen Wahn und Wahnsinn in der Welt. Im Übrigen muss ich der Araberin widersprechen. Mein Gemüsehändler, mein Schuster, mein Flickschneider, mein Crêpes-Bäcker, mein Kaffeehaus-Patron, alle meine Pariser Moslems sind witzig, unbewaffnet, freundlich und nie von der Versuchung geplagt, mir den heiligen Allah einzureden. Seit Jahren gehen wir lässig miteinander um.
    Zurück zum Dome, nun wird es konkret. Ein Moslem-Paar nimmt am Nebentisch Platz. Er leicht korpulent und vollkommen unauffällig gekleidet, vielleicht dreißig, sie vollkommen eingemottet von Kopf bis

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