Im Land der tausend Sonnen
alten Pastor eingeschlossen.
»Ich mache heute mit Herr Hoepper und seiner entzückenden Tochter eine kleine Besichtigungsfahrt«, rief er Friedrich zu, der mit offenem Mund stehen blieb und sich bewusst wurde, dass man ihn auf diesem Außenposten im Urwald allein zurückließ. Er war empört.
Den Großteil des Vormittags verbrachte er damit, sich über die Gemeinde zu informieren, indem er den Inhalt von Pastor Beitz' Seekiste untersuchte. Sein besonderes Interesse galt privaten Dokumenten und Aufzeichnungen, und er stellte erfreut fest, dass der Pastor überaus sorgfältig Tagebuch führte. Weniger erfreut war er allerdings über die Erkenntnis, dass er Schulden bei der Bank hatte. Alltägliche Aufwendungen, besonders für Nahrungsmittel, waren Punkt für Punkt in einer eigenen Mappe eingetragen und wurden auf fragwürdige Weise gegen die wöchentlichen Einzahlungen dreier geringfügiger Summen aufgerechnet. Löhne, versteht sich, aber wieso nur drei?
»Wer bezahlt hier seinen Anteil nicht, Freddy? Das darf nicht geduldet werden. Beitz und sein Hilfspfarrer sind die Einzigen, die diesen Garten Eden gebührenfrei genießen dürfen.«
Von der Unterkunft des Pastors aus ging er in die Gemeinschaftshütte, wo er die Habseligkeiten seiner Schlafgenossen durchsuchte. Hochinteressiert entdeckte er, dass Lukas, ein ziemlich hübscher Bursche, verheiratet war. Wo steckte die Frau? Die Schiffskarten waren noch da, als Andenken an die Reise, ausgestellt auf Lukas und Hanni Fechner. In einer kleineren Seekiste fand er dann Walthers Geschichte. Der hatte ebenfalls Schulden auf der Bank! Was war los mit diesen Leuten? Walthers Schulden waren sogar höher als die des Pastors, der im Grunde genommen gar nicht persönlich belastet war. Der Kredit war auf den Lutherischen Kirchenbaufonds eingetragen, und das bot Gelegenheit zu netten Spielchen. Welche Bank würde schon eine Kirche verklagen? Zwischen Walthers Unterlagen fand er auch den Todesschein seines Vaters, unwichtig, bis er sah, dass ein aufmerksamer Beamter hinzugefügt hatte: »Von eigener Hand«. Gütiger Gott! Was für ein Skandal!
»Walther hält jedes kleinste Papierchen sorgfältig in Ordnung, wenn er auch einen reichlich dummen Eindruck macht«, sagte er zu Freddy. »Offenbar hat er geringe Ersparnisse, und er baut eine Brauerei. Was für eine verdammt gute Idee! Was ich allerdings nicht begreife, ist der Umstand, dass sein Vater sich umgebracht hat, wenn er sich doch zu Tode saufen und mit einem Lächeln auf dem Gesicht hätte hinscheiden können.«
Alles wurde wieder sorgsam verstaut. Friedrich erwog, noch einmal Pastor Beitz' Liste der Leute anzusehen, mit denen er von Hamburg aufgebrochen war, denn er hatte über jeden Einzelnen persönliche Anmerkungen notiert, doch dann beschloss er, sich lieber selbst ein Bild zu machen. Und außerdem hatte er Hunger. Nach einem Besuch in der Vorratskammer – ihn amüsierte das schwere Schloss an der gebrechlichen Tür aus Bambus und Stroh – ließ er sich wie ein Bauer, der sein Feld pflügt, mit Käse, Brot und Eingemachtem unter einem Baum nieder. Das war angenehm, abgesehen von den großen amselartigen Vögeln mit weißen Schwänzen, die um ihren Anteil bettelten und über den Holztisch stolzierten, als seien sie dort zu Hause.
»Sollen sie's haben«, sagte er zu Freddy.
Und jetzt ein Spaziergang. Ein Spaziergang im Urwald. Warum nicht? Ohne Fleiß kein Preis, sagte er sich. Er fand einen munteren, im Dickicht fast verborgenen Bach, dessen kristallklares Wasser einen Mann, der ohnehin unter der Hitze litt, unwiderstehlich anzog. Rasch kleidete er sich aus, lief die sandige Böschung hinab und watete ins Wasser, um sich dann entzückt in der herrlichen Kühle zu versenken. Genüsslich bewegte er die Arme und glaubte, diesen Ort nie wieder verlassen zu wollen.
Friedrich blieb endlos lange im Wasser. Ließ sich treiben, träumte, schmiedete Pläne und vertrieb sich so den Nachmittag. Er hörte ein Kichern und bemerkte drei junge Eingeborenenmädchen, die ihn beobachteten. Flugs war er wieder die Liebenswürdigkeit in Person. Niemand soll behaupten, dass Seereisen nicht auch ihr Gutes haben, sagte er lächelnd zu sich selbst, während er sich im seichten Wasser erhob, damit die Mädchen den Körperbau eines weißen Mannes in der Blüte seiner Jahre bewundern konnten, der die
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