Im Land der tausend Sonnen
Hanni wurde sich plötzlich bewusst, dass Pastor Ritter in der Nähe stand und zuhörte, und sie wurde rot, wandte sich ab und zog sich die Haube tiefer ins Gesicht, um ihre Verwirrung zu verbergen. Sie wagte es nicht, noch einmal zurückzublicken, als sie sich den Frauen auf dem Weg zur Küche anschloss, wo Pastor Beitz zu Ehren der Neuankömmlinge wieder einmal ein Festmahl bereiten ließ.
Hubert war glücklich, mit Adele in der niedlichen kleinen Kirche am Gottesdienst teilnehmen zu können, und es rührte ihn tief, dass die Gemeinde aufstand und zum Gedenken an seine geliebten Verstorbenen, an seine Frau und seine Söhne, seinen Lieblingschoral sang: »Leuchte, himmlisches Licht«.
An diesem Morgen war er mit einem Hochgefühl erwacht, wie es ihn seit langer Zeit nicht mehr erfasst hatte. Und das Lustige daran war, dass überhaupt kein Grund vorlag, abgesehen von der neuen Umgebung und seiner Lust, nicht nur die Stadt, sondern auch deren Einwohner näher kennen zu lernen.
Er lächelte. Friedrich Ritter hatte die Ehre, an diesem seinem ersten Sonntag die Predigt zu halten, und wenngleich er fand, dass der junge Vikar mit seinem überschwänglichen Lob für die Errungenschaften seiner Landsleute in dieser seltsamen Umgebung ein wenig übertrieb, so wusste er doch, dass Ritter es gut meinte und seine Rede wohlwollend aufgenommen wurde.
Die Lebensgewohnheiten hier in der Gemeinde waren ebenfalls merkwürdig, doch Pastor Beitz war zufrieden und blühte anscheinend sogar auf … Aber dort kamen sie jetzt alle herbei, eilten aus der Kirche, um ihn willkommen zu heißen, und es war sehr schön, sie alle wiederzusehen.
Jakob war außer sich vor Freude, Herrn Hoepper zu sehen, und sah voller Erwartung einem Gespräch mit ihm entgegen. Er selbst hatte ihm gewiss eine Menge über sein eigen Freud und Leid zu berichten, und ihn interessierte sehr zu hören, wie Herrn Hoeppers Reise verlaufen war.
»Euch beiden geht es nicht besonders gut«, bemerkte Frieda lachend.
»Wie meinst du das?«, fragte er.
»Du brennst darauf, mit Herrn Hoepper zu reden, aber Pastor Beitz lässt dir keine Chance, und der arme Karl verzehrt sich nach Adele Hoepper, aber der junge Vikar lässt ihn nicht ran. Er sieht ziemlich gut aus, nicht wahr? Groß und attraktiv. Mit seinem langen Haar und dem weichen Bart hat er Ähnlichkeit mit unserem Herrn, wenn man ihn so anschaut.«
»Wie kannst du so etwas sagen!« Jakob war empört. »Vikar Ritter ist der einzige Mensch hier, den Fräulein Hoepper kennt, abgesehen von ihrem Vater. Sie hat ihn schon auf dem Schiff kennen gelernt. Da ist es nur natürlich, dass sie sich in seiner Nähe wohl fühlt.«
»Hast du kein Mitleid mit deinem armen Sohn? Seit er sie in Hamburg gesehen hat, schmachtet er nach ihr. Ihre Ankunft hier ist für ihn wie Ostern und Weihnachten am selben Tag.«
»Ich fürchte, deine Phantasie geht mit dir durch, meine Liebe.«
»Aber natürlich. Ich möchte gern, dass du sie einlädst, die Hoeppers, zu uns … Oh, mein Gott! Wir können sie nicht unterbringen. Wir haben ja keine Möbel.«
Da muss es doch einen Ausweg geben, überlegte Frieda, als sie sich auf die Suche nach ihrem Sohn machte.
»Bilde ich es mir nur ein, oder hast du ein Auge auf Fräulein Hoepper geworfen?«
»Warum auch nicht?«, verteidigte er sich. »Sie ist schön, sie ist Deutsche, und alle Männer haben ein Auge auf sie geworfen. Wie soll ich mir da noch Hoffnungen machen? Max Lutze sagt, sie hat es auf Vikar Ritter abgesehen. Glaubst du das auch?«
Frieda log, ohne mit der Wimper zu zucken. »Nein. Das stimmt nicht. Ich habe vielmehr ein paar Mal gesehen, wie sie sich nach dir umgeschaut hat.«
»Tatsächlich?«
Frieda seufzte, während Karl davoneilte. »Wenn mir schon sonst nichts gelingt, habe ich heute wenigstens meinen Sohn glücklich gemacht«, sagte sie zu sich selbst.
Sie ging mit ihrem Proviantkorb weiter zur Küche, wo Rosie Kleinschmidt ihre neugeborene Tochter stillte.
»Was für ein süßer Schatz«, sagte Frieda. »Wann ist Taufe?«
»Ich weiß es nicht. Pastor Beitz hat sich noch nicht entschieden.«
»Dann geh
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