Im Land der weissen Rose
herzklopfend bei
einem Pistolenduell zuzusehen? Und die Pionierfrauen dort im Westen
griffen auch durchaus selbst mal zur Waffe! Gwyneira hätte ein
von Indianern umzingeltes Fort jederzeit Dianas Rosengarten
vorgezogen.
Jetzt zwängte sie sich aber erst mal in ein Korsett, das sie
noch enger ein schnürte als das alte Ding, das sie beim Reiten
trug. Sie hasste diese Quälerei, aber wenn sie in den Spiegel
sah, gefiel ihr die extrem schlanke Taille. Keine ihrer Schwestern
war so zierlich. Und das himmelblaue Seidenkleid stand ihr auch ganz
hervorragend. Es ließ ihre Augen noch mehr strahlen und betonte
das leuchtende Rot ihres Haars. Wie schade, dass sie es aufstecken
musste. Und wie mühsam für die Zofe, die schon mit Kämmen
und Haarspangen bereitstand! Gwyneiras Haar war von Natur aus lockig;
wenn Feuchtigkeit in der Luft lag, wie fast immer in Wales, kräuselte
es sich besonders und war schwer zu zähmen. Gwyneira musste oft
stundenlang still sitzen, bis die Zofe es vollständig gebändigt
hatte. Und dabei fiel ihr Stillsitzen schwerer als alles andere.
Seufzend ließ Gwyneira sich auf dem Frisierstuhl nieder und
machte sich auf eine langweilige halbe Stunde gefasst. Doch dann fiel
ihr Blick auf das unscheinbare Heftchen, das neben den
Frisierutensilien auf dem Tisch lag. In den Händen der Rothaut
lautete der reißerische Titel.
»Ich hab mir gedacht, Mylady wünscht ein wenig
Kurzweil«, bemerkte die junge Zofe und lächelte Gwyneira
im Spiegel an. »Aber es ist sehr gruselig! Sophie und ich
konnten die ganze Nacht nicht schlafen, nachdem wir es einander
vorgelesen hatten!«
Gwyneira hatte schon nach dem Heftchen gegriffen. Sie gruselte
sich nicht so schnell.
Gerald Warden langweilte sich derweil im Salon. Die Herren nahmen
einen Drink vor dem Essen. Eben hatte Lord Silkham ihm seinen
Schwiegersohn Jeffrey Riddleworth vorgestellt. Lord Riddleworth,
erklärte er Warden, habe in der Indischen Kronkolonie gedient
und sei erst vor zwei Jahren hochdekoriert nach England heimgekehrt.
Diana Silkham war seine zweite Frau, die erste war in Indien
verstorben. Warden wagte nicht zu fragen, woran, aber mit ziemlicher
Sicherheit war die Dame weder an Malaria noch an einem Schlangenbiss
verschieden – es sei denn, sie hätte erheblich mehr
Schneid und Bewegungsfreude besessen als ihr Gatte. Riddleworth
jedenfalls schien die Regimentsunterkünfte während seiner
ganzen Zeit in Indien nicht verlassen zu haben. Ãœber das Land
konnte er nicht mehr erzählen, als dass es außerhalb der
englischen Refugien laut und schmutzig war. Die Einheimischen hielt
er durchweg für Lumpenpack, allen voran die Maharadschas, und
außerhalb der Städte war sowieso alles tiger- und
schlangenverseucht.
»Einmal hatten wir so eine Natter sogar in unserer
Unterkunft«, erklärte Riddleworth angewidert und zwirbelte
seinen gepflegten Schnauzbart. »Ich habe das Biest natürlich
sofort erschossen, obwohl der Kuli meinte, es sei nicht giftig.Aber
kann man diesen Leuten trauen? Wie ist das bei Ihnen, Warden? Haben
Ihre Dienstboten dieses widerliche Gezücht unter Kontrolle?«
Gerald dachte belustigt daran, dass Riddleworth’ Schüsse
im Hausvermutlich mehr Schaden angerichtet hatten, als selbst ein
Tiger jemals hätte zustande bringen können. Er traute dem
kleinen, wohlgenährten Oberst kaum zu, einen Schlangenkopf mit
einem Schuss zu treffen.Auf jeden Fall hatte der Mann sich eindeutig
das falsche Land als Wirkungsbereich ausgesucht.
»Unsere Dienstboten sind mitunter ein wenig ... äh,
gewöhnungsbedürftig«, sagte Gerald. »Wir setzen
meist Eingeborene ein, denen die englische Lebensart doch sehr fremd
ist. Aber mit Schlangen und Tigern haben wir nichts zu tun. In ganz
Neuseeland gibt es keine Schlangen. Und ursprünglich gab es auch
kaum Säugetiere. Erst die Missionare und Siedler brachten
Nutzvieh, Hunde und Pferde auf die Inseln.«
»Keine wilden Tiere?«, fragte Riddleworth
stirnrunzelnd. »Kommen Sie, Warden, Sie wollen uns doch nicht
weismachen, dass es dort vor der Besiedlung wie am vierten Tag der
Schöpfung ausgesehen hat. «
»Es gibt Vögel«, berichtete Gerald Warden.
»Große, kleine, dicke, dünne, fliegende, laufende
... ach ja, und ein paar Fledermäuse.Ansonsten natürlich
Insekten, aber die sind auch nicht sehr gefährlich. Sie müssen
sich also anstrengen, wollen Sie auf
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