Im Land der weissen Rose
Preis.«
Helen sah das ein und versuchte auch schon mal, hier vorsichtig
auf Howard einzuwirken. Der erwies sich ihren Vorschlägen
gegenüber jedoch als wenig aufgeschlossen. Er wies sie sogar
schroff zurecht, wenn sie nur damit anfing. Ãœberhaupt konnte er
Kritik nicht vertragen – was ihm auch unter Viehhändlern
und Wollaufkäufern keine Freunde machte. Letztlich hatte er sich
mit fast allen überworfen – außer dem langmütigen
Peter Brewster, der ihm für seine drittklassige Wolle zwar
keinen Spitzenpreis bot, sie aber immerhin abnahm. Helen wagte gar
nicht darüber nachzudenken, was geschehen würde, wenn
Brewsters nun tatsächlich nach Otago abwanderten. Dann waren sie
von seinem Nachfolger abhängig, und auf Diplomatie von Seiten
Howards war nicht zu hoffen. Würde der Mann dann trotzdem
Verständnis zeigen, oder die Farm bei künftigen
Einkaufsreisen einfach übergehen?
Die Familie lebte jedenfalls jetzt schon von der Hand in den Mund,
und ohne die Hilfe der Maoris, die den Schulkindern immer wieder
Jagdbeute, Fische oder Gemüse mitgaben, um für den
Unterricht zu bezahlen, hätte Helen oft nicht weitergewusst. An
eine Hilfe für Stall und Haushalt war auf keinen Fall zu denken
– im Gegenteil, Howard zog Helen immer häufiger auch bei
der Farmarbeit hinzu, weil er sich nicht einmal einen Maori-Helfer
leisten konnte. Dabei versagte Helen meist kläglich, und Howard
tadelte sie streng, wenn sie beim Lammen wieder mal errötete,
statt zuzupacken, oder beim Schlachten in Tränen ausbrach.
»Stell dich nicht so an!«, schimpfte er und zwang sie,
hinzusehen und anzufassen. Helen versuchte, Ekel und Angst
herunterzuschlucken und tat mit Todesverachtung, was er von ihr
verlangte.Allerdings konnte sie es nicht ertragen, wenn er ihren Sohn
ebenso behandelte, und das kam immer häufiger vor. Howard konnte
es kaum erwarten, dass der Junge heranwuchs und »nützlich«
wurde, obwohl jetzt schon abzusehen war, dass auch Ruben sich wenig
für die Farmarbeit eignen würde. Das Kind hatte äußerlich
zwar einige Ähnlichkeit mit Howard – es war groß,
mit vollen dunklen Locken, und würde sicher kräftig werden.
Die verträumten grauen Augen hatte es jedoch von der Mutter, und
auch Rubens Wesen passte wenig zur Härte des Farmbetriebs. Der
Junge war Helens ganzer Stolz: freundlich, höflich und angenehm
im Umgang, dazu hochintelligent. Mit seinen fünf Jahren konnte
der Junge bereits gut lesen und verschlang selbst Wälzer wie
Robin Hood und Ivanhoe. Er verblüffte in der Schule, indem er
die Rechenaufgaben der Zwölf- und Dreizehnjährigen löste,
und natürlich sprach er fließend Maori. Handarbeiten lagen
ihm jedoch nicht; selbst die kleine Fleur war geschickter darin, die
eben geschnitzten Bögen für ihr Robin-Hood-Spiel mit
Pfeilen zu versehen und diese abzufeuern.
Aber Ruben war willig. Wenn Helen ihn um etwas bat, bemühte
er sich stets nach Kräften, die Aufgabe zu meistern. Howards
rauer Ton jedoch machte ihmAngst, und die blutrünstigen
Geschichten, die sein Vater ihm erzählte, um ihn abzuhärten,
verschreckten ihn. Rubens Verhältnis zu Howard wurde deshalb mit
jedem Jahr schlechter – und Helen sah schon ein ähnliches
Desaster voraus wie zwischen Gerald und Lucas auf Kiward Station.
Leider ohne das Vermögen im Hintergrund, das es Lucas
ermöglichen würde, einen fähigen Verwalter
einzustellen.
Wenn Helen dies alles bedachte, tat es ihr manchmal Leid, dass
ihre Ehe nicht mit weiteren Kindern gesegnet war. Howard hatte
irgendwann nach Rubens Geburt zwar seine Besuche bei ihr wieder
aufgenommen, doch zu einer weiteren Empfängnis war es nicht
gekommen. Das mochte an Helens Alter liegen oder auch daran, dass
Howard nie wieder so regelmäßig mit ihr schlief wie im
ersten Jahr ihrer Ehe. Helens offensichtlicher Unwille, die
Anwesenheit des Kindes im Schlafzimmer und Howards zunehmender
Alkoholgenuss wirkten nicht sonderlich stimulierend. Häufiger
als im Bett seiner Frau suchte Howard sein Vergnügen am
Spieltisch im Pub zu Haldon. Ob es dort auch Frauen gab und
vielleicht so mancher Spielgewinn in die Taschen einer Hure wanderte,
wollte Helen gar nicht erst wissen.
Heute jedoch war ein guter Tag. Howard war gestern nüchtern
geblieben und schon früh, vor Tau und Tag, in die Berge
geritten, um nach den Mutterschafen zu sehen. Helen
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