Im Land der weissen Rose
ablehnen, doch die Maori nahm ihn gar nicht zur
Kenntnis, stellte die Taschen ab und wandte sich gleich wieder zum
Gehen. Fleurette befestigte die Taschen am Sattel, dann führte
sie Minette hinaus.
»Pass ja auf ihn auf!«, flüsterte sie der Stute
zu. »Und bring ihn mir zurück!«
Ruben zog sich mühsam in den Sattel, schaffte es dann aber
doch noch, sich zu Fleurette herunterzubeugen und sie zum Abschied zu
küssen.
»Wie sehr liebst du mich?«, fragte er leise.
Sie lächelte. »Bis in den Himmel. Und noch ein paar
Sterne weiter. Wir sehen uns bald!«
»Wie sehen uns bald!«, beteuerte Ruben.
Fleurette sah ihm nach, bis er hinter dem Vorhang aus Regen
verschwand, der ihr heute den Blick auf die Alpen verwehrte.Ihr Herz
tat ihr weh, Ruben so schief und schmerzverkrümmt auf dem Pferd
hängen zu sehen. Eine gemeinsame Flucht wäre nie gelungen –
Ruben konnte nur vorankommen, wenn er unbehelligt blieb.
Paul sah den Jungen ebenfalls abreiten. Er hatte bereits wieder
Wachposten an seinem Fenster bezogen und überlegte, ob er Gerald
wecken sollte.Aber bis er zu dem vordrang, wäre Ruben sicher
über alle Berge – mal ganz abgesehen davon, dass seine
Mutter ihn bestimmt im Blick behielt. Ihr Ausbruch von gestern stand
ihm noch deutlich vor Augen. Er hatte bestätigt, was Paul immer
gewusst hatte: Gwyneira liebte seine Schwester viel mehr als ihn. Von
ihr hatte er nichts zu erwarten.Aber was seinen Großvater
anging, gab es Hoffnung. Sein Großvater war berechenbar, und
wenn Paul lernte, ihn richtig zu nehmen, würde er zu ihm halten.
Von jetzt an, entschied Paul, gäbe es zwei gegnerische
Fraktionen in der Familie Warden: seine Mutter und Fleur, Gerald und
Paul. Er musste nur noch Gerald davon überzeugen, wie nützlich
er ihm war!
Gerald tobte, als er herausfand, wohin die Stute Minette
verschwunden war. Gwyneira konnte ihn nur mit Mühe daran
hindern, Fleurette zu schlagen.
»Immerhin ist der Kerl jetzt weg!«, tröstete er
sich schließlich. »Ob nach Dunedin oder sonst wohin, soll
mir egal sein. Wenn er hier noch mal auftaucht, erschieße ich
ihn wie einen tollwütigen Hund, das muss dir klar sein,
Fleurette!Aber bis dahin bist du auch nicht mehr hier. Ich werde dich
an den nächsten Mann verheiraten, der halbwegs passend ist!«
»Sie ist noch viel zu jung zum Heiraten«, sagte
Gwyneira. Im Grunde dankte auch sie dem Himmel, dass Ruben die
Canterbury Plains erst einmal verlassen hatte. Wohin, hatte Fleur ihr
nicht erzählt, aber sie konnte es sich denken. Was zu Lucas’
Zeiten Walfang und Seehundjagd gewesen war, hatte sich jetzt zum
Goldrausch gewandelt. Wer schnell Vermögen machen und sich als
Mann beweisen wollte, strebte nach Otago. Rubens Eignung zum Miner
schätzte sie allerdings ähnlich pessimistisch ein wie
Fleurette.
»Sie war alt genug, sich diesem Bastard im Busch hinzugeben.
Da kann sie auch mit einem ehrenwerten Mann das Bett teilen. Wie alt
ist sie? Sechzehn? Im nächsten Jahr ist sie siebzehn. Dann kann
sie sich verloben. Ich kann mich gut an ein Mädchen erinnern,
das mit siebzehn nach Neuseeland kam ...«
Gerald fixierte Gwyneira, die dabei blass wurde und ein Gefühl
in sich aufsteigen spürte, das fast an Panik grenzte.Als sie
siebzehn war, hatte Gerald sich in sie verliebt – und sie für
seinen Sohn nach Ãœbersee geholt. Fing der alte Mann jetzt
womöglich an, auch Fleur mit anderen Augen zu sehen? Gwyneira
hatte sich bisher nie viel dabei gedacht, dass das Mädchen ihr
täuschend ähnlich sah. Wenn man davon absah, dass Fleurette
noch graziler war als ihre Mutter, ihr Haar etwas dunkler und die
Augenfarbe eine andere, hätte man Fleur und die junge Gwyneira
verwechseln können ... Hatte Pauls dumme Petzerei das jetzt
womöglich auch Gerald vor Augen geführt?
Fleurette schluchzte und wollte tapfer erwidern, dass sie niemals
und unter keinen Umständen einen anderen Mann heiraten würde
als Ruben O’Keefe, aber Gwyneira nahm sich zusammen und gebot
ihr mit einem Kopfschütteln und einer Handbewegung zu schweigen.
Es brachte nichts, sich zu streiten. Zumal das Auffinden
eines»halbwegs passenden« jungen Mannes nicht einfach
werden dürfte. Die Wardens gehörten zu den ältesten
und angesehensten Familien der Südinsel; nur wenige andere waren
ihnen gesellschaftlich und finanziell ebenbürtig. Deren
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