Im Land der weissen Rose
auf.
»Und dafür, dass du dich für was Besseres hältst!«
Ein weiterer brutaler Tritt, diesmal in die Nierengegend. Ruben
krümmte sich. Helen versuchte, Howard von ihm wegzuziehen.
»Und das hier ist für dich, weil du mit dem kleinen
Scheißkerl immer gemeinsame Sache machst!« Howard landete
den nächsten Treffer auf Helens Oberlippe. Sie stürzte,
versuchte dabei aber immer noch, ihren Sohn zu schützen.
Immerhin schien Howard jetzt zu sich zu kommen. Das Blut in Helens
Gesicht ernüchterte ihn.
»Ihr seid das gar nicht wert ... ihr ...«, stammelte
er und stakste unsicher auf den Schrank in der Küche zu, in dem
Helen den Whiskey aufbewahrte. Eine ordentliche Sorte, nicht der
billigste. Sie pflegte ihn für Besucher bereitzuhalten; vor
allem George Greenwood brauchte einen Schluck, wenn er mit Howard
fertig war. Jetzt trank Howard den Schnaps in langen Zügen und
wollte die Flasche dann wieder hineinstellen. Doch als er den Schrank
schließen wollte, überlegte er es sich anders und nahm sie
mit.
»Ich schlaf im Stall!«, verkündete er. »Kann
euch nicht mehr sehen ...«
Helen atmete auf, als er nach draußen verschwand.
»Ruben ... ist es schlimm? Bist du ...«
»Alles in Ordnung, Mom«, flüsterte Ruben, doch
sein Aussehen bewies das Gegenteil. Er blutete aus Platzwunden über
demAuge und der Lippe; das Nasenbluten war ebenfalls schlimmer
geworden, und er hatte Mühe, sich aufzurichten. Sein linkes Auge
schwoll zu. Helen half ihm auf.
»Komm, leg dich ins Bett. Ich verarzte dich«, bot sie
ihm an. Doch Ruben schüttelte den Kopf.
»Ich will nicht in sein Bett!«, sagte er fest und
schleppte sich stattdessen zu der schmalen Pritsche neben dem Kamin,
auf der er im Winter zu schlafen pflegte. Im Sommer suchte er sich
seit Jahren einen Schlafplatz im Stall, um seine Eltern nicht zu
stören.
Er zitterte, als Helen mit einer Schüssel Wasser und einem
Lappen zu ihm kam, um sein Gesicht abzuwaschen. »Es ist nichts,
Mom ... Mein Gott, hoffentlich geschieht Fleur nichts.«
Helen tupfte ihm vorsichtig das Blut von der Lippe. »Fleur
wird nichts passieren.Aber wie ist er dahintergekommen? Verflixt, ich
hätte doch ein Auge auf diesen Paul werfen sollen!«
»Irgendwann hätten sie’s sowieso erfahren«,
meinte Ruben. »Und dann ... ich werde morgen von hier
verschwinden, Mom. Mach dich schon mal darauf gefasst. Ich bleibe
keinen Tag länger in seinem Haus ...« Er wies in die
Richtung, in die Howard verschwunden war.
»Du wirst morgen krank sein«, sagte Helen. »Und
wir sollten nichts überstürzen. George Greenwood ...«
»Onkel George kann uns da auch nicht mehr helfen, Mutter.
Ich gehe nicht nach Dunedin. Ich gehe nach Otago. Da gibt es Gold.
Ich ... ich werde welches finden, und dann hole ich Fleur hier
heraus. Und dich auch. Er ... er darf dich nicht mehr schlagen!«
Helen sagte nichts mehr. Sie bestrich die Wunden ihres Sohnes mit
einer kühlenden Salbe und saß bei ihm, bis er
eingeschlafen war. Dabei dachte sie an all die Nächte, die sie
so bei ihm verbracht hatte, wenn er krank war oder aus einem Albtraum
aufschreckte und sie einfach bei sich haben wollte. Ruben hatte sie
immer glücklich gemacht.Aber jetzt hatte Howard auch das
zerstört. Helen schlief nicht in dieser Nacht.
Sie weinte.
Â
3
Auch Fleuretteweinte sich in dieser Nacht in den Schlaf. Sowohl
sie als auch Gwyneira und Paul hörten Gerald spät am Abend
zurückkommen, aber keiner brachte den Mut auf, den Alten zu
fragen, was vorgefallen war.Am Morgen war Gwyneira dann die Einzige,
die wie gewohnt zum Frühstück herunterkam. Gerald schlief
seinen Rausch aus, und Paul wagte sich nicht zu zeigen, solange nicht
die Chance bestand, seinen Großvater zwecks Aufhebung des
Stubenarrests auf seine Seite zu ziehen. Fleurette hockte verschreckt
und antriebslos in einer Ecke ihres Bettes, Gracie an sich gepresst
wie ihre Mutter damals Cleo und gepeinigt von den schrecklichsten
Vorstellungen. Dort fand sie Gwyneira, nachdem Andy McAran ihr
Meldung über einen unangekündigten Besucher im Stall
gemacht hatte. Gwyn vergewisserte sich sorgfältig, dasssich
weder bei Gerald noch bei Paul etwas regte, bevor sie ins Zimmer
ihrer Tochter schlüpfte.
»Fleurette? Fleurette, es ist neun Uhr! Was machst du denn
noch im Bett?« Gwyneira schüttelte so tadelnd den Kopf,
als wäre
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