Im Land der weissen Rose
bestimmte Miller. »Gibt es
jemanden, der den Jungen nach Hause bringt?«
George Greenwood bot sich an, während die Bürger von
Haldon eher verhalten reagierten. Schießereien war man hier
nicht gewöhnt, selbst Schlägereien waren selten.
Normalerweise hätte man die Streithähne auch gleich
getrennt, aber in diesem Fall war das Wortgefecht zwischen Gerald und
Howard zu fesselnd gewesen. Wahrscheinlich hatte jeder der anwesenden
Männer sich schon darauf gefreut, es gleich seiner Gattin
weiterzuerzählen. Morgen, dachte George seufzend, war es
Stadtgespräch. Doch im Grunde spielte es keine Rolle. Er musste
jetzt erst einmal Paul nach Hause schaffen und dann überlegen,
was man tun konnte. Ein Warden in einem Mordprozess? In George
sträubte sich alles. Es musste eine Möglichkeit geben, die
Sache niederzuschlagen.
Gwyneira hätte die Rückkehr von Paul und Gerald
gewöhnlich verschlafen. In den letzten Monaten war sie abends
noch erschöpfter als sonst, denn neben der Arbeit auf der Farm
blieb nun ja auch die Hausarbeit an ihr hängen. Gerald hatte
zwar notgedrungen die Anstellung weißer Farmarbeiter bewilligt,
aber kein Hauspersonal. So ging ihr nach wie vor nur Marama zur Hand
– und das reichlich ungeschickt. Das Mädchen hatte seiner
Mutter Kiri zwar im Haus geholfen, seit es klein war, doch Marama
hatte kein Geschick dafür. Ihre Begabung lag auf künstlerischem
Gebiet; sie galt jetzt schon als kleine tohunga bei ihrem Stamm,
unterwies andere Mädchen im Singen und Tanzen und erzählte
fantasievolle Mischungen aus den Sagen ihres Volkes und den Märchen
der pakeha. Sie konnte einen Maori-Haushalt führen, Feuer machen
und Speisen auf heißen Steinen oder in der Glut garen. Möbel
zu polieren, Teppiche zu klopfen und Gerichte stilvoll zu servieren
lag ihr jedoch nicht. Dabei war gerade die Küche Gerald ein
Anliegen, und um ihn nicht zu erzürnen, tasteten sich Gwyn und
Marama nun gemeinsam an die Rezepte der verstorbenen Barbara Warden
heran. Zum Glück konnte Marama fließend Englisch lesen.
Die Bibel war in der Küche also nicht mehr vonnöten.
Heute Abend hatten Paul und Gerald allerdings in Haldon gegessen.
Marama und Gwyn hatten sich mit Brot und Früchten begnügt.
Danach saßen sie noch einträglich vor dem Kamin zusammen.
Gwyn fragte, ob die Maoris dem Mädchen seine
»Streikbrecherei« übel nahmen, doch Marama
verneinte.
»Tonga ist natürlich böse«, sagte sie mit
ihrer singenden Stimme.»Er will, dass alle tun, was er
sagt.Aber das ist nicht Brauch bei uns. Wir entscheiden selbst,und
ich habe ihm noch nicht im Gemeinschaftshaus beigelegen, auch wenn er
meint, dass ich es eines Tages tun werde.«
»Haben deine Mutter und dein Vater da nicht ein Wort
mitzureden?« Gwyneira verstand die Bräuche der Maoris
immer noch nicht ganz. Sie konnte nach wie vor nicht fassen, dass die
Mädchen ihre Männer selbst wählten und oft genug
mehrmals wechselten.
Marama schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Mutter sagt
nur, es wäre seltsam, wenn ich Paul beiliege, weil wir doch
Milchgeschwister sind. Es wäre unschicklich, wenn er einer von
uns wäre, aber er ist pakeha und auch sonst ganz anders... er
ist sicher kein Mitglied des Stammes.«
Gwyneirahätte sich fast an ihrem Sherry verschluckt, als
Marama so selbstverständlich von Beischlaf mit ihrem
siebzehnjährigen Sohn sprach.Allerdings dämmerte ihr jetzt
ein Verdacht, weshalb Paul so aggressiv auf die Maoris reagierte. Er
wollte ausgestoßen werden. Um eines Tages Marama beiliegen zu
dürfen? Oder einfach, um unter den pakeha nicht auch noch als
»anders« verschrien zu werden?
»Du magst Paul also lieber als Tonga?«, fragte Gwyn
vorsichtig.
Marama nickte. »Ich liebe Paul«, sagte sie schlicht.
»So wie rangi papa liebte.«
»Warum?« Die Frage kam Gwyneira über die Lippen,
bevor sie nachdenken konnte. Dann schoss ihr die Röte ins
Gesicht. Sie hatte schließlich zugegeben, dass sie an ihrem
eigenen Sohn nichts Liebenswertes finden konnte. »Ich meine«,
schwächte sie ab, »Paul ist schwierig und ...«
Marama nickte wieder. »Liebe ist auch nicht einfach«,
erklärte sie dann. »Paul ist wie ein reißender
Strom, den man durchwaten muss, bevor man zu den besten Fischgründen
gelangt. Aber er ist ein Strom von Tränen, Miss Gwyn. Muss man
stillen durch
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