Im Land der weissen Rose
förmlich vorgestellt
wurde.
Was sie sah, machte es ihr dann aber schwer, die würdevolle
Haltung zu wahren. Beinahe hätte sie sich dazu hinreißen
lassen,Augen und Mund aufzusperren, um dieses perfekte Exemplar der
Gattung Mann hemmungslos anzustarren.
Gerald hatte bei Lucas’ Schilderung nicht übertrieben.
Sein Sohn war der Inbegriff eines Gentlemans und obendrein mit allen
Attributen männlicher Schönheit gesegnet. Der junge Mann
war hochgewachsen, deutlich größer als Gerald, und
schlank, aber muskulös. Er hatte nichts von der Schlaksigkeit
des jungen Barrington oder der kraftlosen Zartheit eines Vikar
Chester. Lucas Warden trieb zweifellos Sport, wenn auch nicht so
exzessiv, dass er den muskelbepackten Körper eines Athleten
bekommen hatte. Sein schmales Gesicht wirkte durchgeistigt, vor allem
aber ebenmäßig und edel. Gwyneira fühlte sich an die
Statuen griechischer Götter erinnert, die den Weg zu Dianas
Rosengarten säumten. Lucas’ Lippen waren fein geschnitten,
weder zu breit und sinnlich, noch schmal und verkniffen. Seine Augen
waren klar und so intensiv grau, wie Gwyneira es noch nie gesehen
hatte. Meist spielten graue Augen ja ins Bläuliche, doch Lucas’
Augen wirkten, als habe man hier nur schwarze und weiße Farbe
gemischt. Er trug sein hellblondes, leicht gelocktes Haar kurz, wie
es in Londoner Salons Mode war. Lucas war förmlich gekleidet; er
hatte für diese Begegnung einen grauen Dreiteiler aus bestem
Tuch gewählt. Dazu trug er glänzende schwarze Halbschuhe.
Als Gwyneira jetzt auf ihn zu trat, lächelte er sie an. Sein
Gesicht wurde dadurch noch anziehender. Die Augen jedoch blieben
ausdruckslos.
Schließlich verbeugte er sich und ergriff Gwyneiras Hand mit
langen, schlanken Fingern, um einen formvollendeten Handkuss
anzudeuten.
»Mylady ... Ich bin entzückt.«
Howard O’Keefe blickte Helen verwundert an. Er verstand
offensichtlich nicht, warum seine Frage ihr die Sprache verschlagen
hatte.
»Wie ... wieso mit der Heirat?«, stammelte sie
schließlich. »Ich ... ich dachte ...« Helen zupfte
an ihrer Haarsträhne.
»Und ich dachte, Sie wären gekommen, um mich zu
ehelichen«, meinte Howard und wirkte dabei fast ein wenig
erzürnt. »Haben wir uns da missverstanden?«
Helen schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich
nicht.Aber es kommt so plötzlich. Wir... wir wissen gar nichts
voneinander. Ge... gewöhnlich läuft es doch so, dass der
Mann seiner kün... künftigen Gattin zunächst den Hof
macht, und dann ...«
»Miss Helen, von hier bis zu meiner Farm ist es ein
zweitägiger Ritt!«, meinte Howard streng. »Sie
erwarten doch nicht wirklich, dass ich diesen Ritt mehrmals
unternehme, nur um Ihnen Blumen zu bringen! Was mich angeht, so
brauche ich eine Frau. Ich habe Sie jetzt gesehen, und Sie gefallen
mir gut ...«
»Danke«, murmelte Helen errötend.
Howard reagierte gar nicht darauf. »Von meiner Seite wäre
damit alles klar. Mrs. Baldwin sagte mir, Sie seien sehr mütterlich
und häuslich, und das gefällt mir. Mehr brauche ich gar
nicht zu wissen. Wenn Sie noch Fragen an mich haben – bitte,
ich will sie gernbeantworten. Aber dann sollten wir uns über die
... äh, Modalitäten unterhalten. Reverend Baldwin würde
uns doch trauen, oder?« Letzteres richtete sich an Vikar
Chester, der eifrig nickte.
Helen dachte fieberhaft über Fragen nach. Was musste man über
einen Menschen wissen, mit dem man die Ehe einging? Schließlich
begann sie mit seiner Familie.
»Sie stammen ursprünglich aus Irland, Mr. Howard?«
O’Keefe nickte. »Ja, Miss Helen. Connemara.«
»Und Ihre Familie ...?«
»Richard und Bridie O’Keefe, meine Eltern, sowie fünf
Geschwister – oder auch mehr, ich bin früh von zu Hause
weg.«
»Weil ... das Land nicht so viele Kinder ernähren
konnte?«, fragte Helen vorsichtig.
»Könnte man so sagen. Ich wurde jedenfalls nicht
gefragt.«
»Oh, das tut mir Leid, Mr. Howard!« Helen unterdrückte
den Impuls, tröstend die Hand auf seinen Arm zu legen.
Natürlich, das war das »schwere Schicksal«, von dem
er in seinen Briefen geschrieben hatte.
»Und dann kamen Sie gleich nach Neuseeland?«
»Nein, ich bin viel ... äh, herumgekommen.«
»Das kann ich mir denken«, entgegnete Helen, obwohl
sie nicht die
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